(Technik) Mein Leben mit dem Chapman Stick


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Beitrag von Johannes K. vom Oktober 20. 1999 um 10:35:08:

Hallo Benjamin (und alle andern),

Du hast mich gebeten, doch ein bißchen über meine Erfahrungen mit diesem seltsamen Instrument, dem Chapman Stick, zu berichten. Das tue ich gern.
Wie kommt man dazu, so ein Ding zu spielen? Zuerst gehört habe ich von dem Gerät in den Beipackzetteln meiner Peter Gabriel-Platten, wo Tony Levin das Ding spielt. Später begegnete es mir auf King Crimson-Scheiben wieder (auch mit TLev). Damals konnte ich allerdings die Klänge, die ich hörte, noch nicht so richtig zuordnen. Erst ein Paar Jahre später, als King Crimson mit einem zweiten Stick-Spieler (Trey Gunn) wieder aus der Versenkung auftauchten, wurde mir langsam klar, daß vom Stick nicht nur dieser wunderschön perkussive Baßsound kam, sondern daß das Ding auch hohe Saiten hat. Vor ca. vier Jahren kam dann zusammen, daß besagter Mr. Gunn dann eine Solo-CD veröffentlichte - nur Stick, Gesang und Schlagzeug - und daß ich King Crimson in Stuttgart live sehen konnte. Da wurde der Haben-Wollen-Faktor dann so groß, daß ich anfing zu sparen. Wieder ein paar Monate und ein geplündertes Konto später hatte ich dann meinen eigenen bei Mr. Chapman bestellt.
Und dann kam er, lächelte mich an und sprach: "Spiel mich!" (der Stick, nicht Mr. Chapman) - und ich kam überhaupt nicht damit zurecht. Bis dahin hatte ich Geige und Gitarre gespielt, aber plötzlich mit der rechten Hand zu Greifen und nicht zu Zupfen war doch sehr ungewohnt. Und dann diese Stimmung! Melodiesaiten in Quarten, Baßsaiten in umgekehrten Quinten (also mit der tiefsten Saite in der Mitte des Griffbretts)...
Aber die Gewöhnung ging doch unerwartet schnell. Und ich muß sagen, je länger ich mich mit diesem Instrument beschäftige, desto mehr merke ich, wieviel Gedanken sich Mr. Chapman beim Design des Sticks gemacht hat. Auch die erst sehr ungewöhnliche Stimmung leuchtet mir inzwischen ein. zum Beispiel ist es sehr einfach, Akkorde zu konstruieren oder Stücke zu transponieren. Und die Quintenstimmung im Baß ist günstig für Akkorde oder Arpeggien, mit dem größeren Abstand zwischenden Akkordtönen mulmt es nicht so leicht.
Und durch die Tatsache, daß man die Töne nicht zupfen muß sondern direkt durch Tapping erzeugt, kann ich plötzlich viel schneller spielen als auf der Gitarre :-) es entfällt also die Koordination zwischen rechter und linker Hand.
Ich würde also nicht sagen, daß der Stick ein besonders schwierig zu spielendes Instrument ist. man muß nur seine Erwartungen loswerden, es ist eben weder ein Baß noch eine Gitarre.
Last but not least, der Klang: ich finde, das Ding klingt einfach klasse. Nicht nur die Baßsaiten (der Sound, den vielleicht die meisten mit dem Stick assoziieren), sondern auch die Melodiesaiten haben einen recht eigenen, ziemlich perkussiven Klang, vielleicht am ehesten mit einer Mischung aus Gitarre/Baß und Klavier vergleichbar.
Seit ich meinen Stick habe, verstaubt meine gute alte Strat in der Ecke.
Sehr hilfreich bei meinen ersten Schritten mit dem Stick fand ich übrigens - neben den Chapmans, die sehr freundlich und hilfreich waren - die Internetgemeinde der Stickspieler. Es gibt eine Mailing-Liste für Stickisten, an der fast alles teilnimmt, was in der Stickwelt Rang und Namen hat, und die Atmosphäre ist meistens ähnlich konstruktiv wie in diesem Forum hier - einen Gruß an alle Poster, die dazu beitragen!

Johannes


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