: Hallo Freunde der Nacht !
: Wenn ich das ganze Bohai um die Zerr-Tretmienen so sehe,
Hallo Du ehrlich interessierter Oliver, Du hast es nicht anders gewollt. Willkommen in der Welt von Fuzz & Buzz. Wespennest? Schön wär´s. Hier bekommst Du in der Regel nur Antworten von souveränen "Ladies & Gentlemen Of Tone".
Zwei Sekunden, bevor ich Deinen obigen Link anklickte, dachte ich dasselbe (also warum sind so viele Leute scharf auf diese bunten Kisten) und las es dann schwarz auf weiß (muß jetzt gleich einen Thread überSynchronizität starten). Verzerrer (häßliches Wort eigentlich, oder? Warum nicht De-Cleaner?): Klar, damals, so kurz nach dem Krieg, es gab´ ja nix - wir waren ja froh, wenn überhaupt mal irgendwo was gezerrt hat, und wenn´s die Sehnen waren, no Hi-Gain in those days, aber heute? Andererseits habe ich mir in den letzten Monaten nach langer Zeit wieder diverse Tretminen zugelegt, darunter drei Zerrer (H&K Tube Factor, Roger Mayer Voodo-1, Fulltone Ultimate Octave, beim letzteren kann man die Zerr- und Oktaveffekte auch separat einsetzen) und dabei mal wieder dazugelernt, daß man durch deren Einsatz schon auch an diverse zusätzliche Sounds kommt. Ich konnte früher auch nie was mit diesen Tretminen anfangen - mein Denkfehler war immer, daß ich den "fetten Röhrensound" vom Einsatz eines einzigen Pedals erwartete, und das brachten die wenigsten (dazu müßten sie nämlich eine kompletten Amp mit Box simulieren), also weg damit. Und dann gucke ich auf Gary Moore´s Road Rig, und was sehe ich: So einen japanesischen Billig-Zerrer vor einem heißen Marshall. Nicht zu fassen. Aber er kann wohl damit umgehen.
Die besten Ergebnisse bekommt man IMH(oly)O, wenn die verschiedenen Zerr-Stufen im gesamten Kanalweg (Fuzz-Boxen, Vor- und Endstufe incl. Speaker) alle gleichermaßen zum Gesamt-Clipping beitragen -also im Sinne "Kaskadierender Zerrung". Ich wunderte mich früher immer, daß so manche Cracks so völlig scharfe Sounds mit diesen Gerätschaften erzeugen - das hat z.B. oft damit zu tun, daß zwei Pedale mit geringer Zerrintensität hintereinandergeschaltet werden und dann anders reagieren als eine aufgedrehte Amp-Vorstufe. Manche Zerrer klingen auch z.B. vor einem Clean-Kanal scheußlich (Rasierapparat - es sei denn, man steht gerade darauf), mit einem Crunch-Setting aber wiederum toll (the harshness smoothes out...). Na ja, und da ich gerne alle möglichen Sounds zur Verfügung habe, benutze ich die Dinger bei Bedarf eben auch (wieder):
1. Zerrer plus Clean-Kanal: Aus einem zweikanaligen Carvin Legacy Amp mache ich einen Vierkanaler, indem ich vor den Clean-Kanal einen H&K Tube Factor hänge - zwischen Ultra-Clean und Higain gibt´s damit noch Light (Tom-Petty-Sounds) und Heavy Crunch für diverse Rhythmus-Riffs oder gemäßigtere Lead-Sounds. Das Teil klingt dermaßen röhrig, als wäre es ein integraler Bestandteil des Amps. Die Klangeinstellung des Clean-Kanals ist für optimale Clean-Sounds eingestellt, aber mit dem Filter am Tubefactor klingen die Zerrsounds auch sehr gut, ohne am Amp nachregeln zu müssen. Ist schaltungstechnisch mit dem ganzen anderen Kram zusammen viel Aufwand, aber der Amp klingt für mich dermaßen gut, daß ich auf ihn nicht wegen des "fehlenden" Crunch-Kanals verzichten will.
Das Ultimate Octave klingt, nur als Zerrer eingesetzt, bei entsprechender Einstellung, u.a. so etwa wie das Intro von "Money for Nothing" - oder kennt jemand noch "Spirit in the sky", diesen typischen Vintage-Fuzz-Sound? So was ist für Heavy-Powerchord-Riffs nicht so geeignet, klingt aber ganz witzig. Nostalgie...
2. Zerrer plus Lead-Kanal: Gibt "andere" Lead-Sounds - der Voodoo-1 z.B. bringt einen gewaltigen Schub an sehr tiefen Mitten, das hört sich so schön angenehm brutal an -fast schon Death-Metal-like. Oder auch in Verbindung mit dem Hals-Pickup einen dunklen "Woman Tone" mit Endlos-Sustain.
3. Wenn man die Zerrung hauptsächlich in der Vorstufe erzeugt und (Multi-)Effekte einschleift, ist man in der Regel auf die "ordentliche" Langweiler-Reihenfolge "Distortion + Modulation + Time-Based Effects" festgelegt" (mal abgesehen von Geräten wie dem Lexicon-ich-weiß-die Nummer nicht-mehr, wo man auch wählen kann, welche Effekte vor oder hinter die Vorstufe geschaltet werden). Wenn man aber Tretminen miteinander kombiniert, kann man auf jeden Fall variieren, indem man die Zerrer nach Bedarf stromauf- oder abwärts positioniert. Ein Uni-Vibe z.B. klingt vor der Zerrung anders als dahinter (ob besser oder schlechter, ist Geschmackssache, manchmal klingt "kaputt" eben auch goil) - ein Wah plus Zerrer hört sich wie ein läufiger Kater an, mit Zerre davor wie ein Kater, der auch noch faucht, und wenn man so was aus hormonellen Gründen braucht, dann helfen u.U. nur Tretminen, wie auch bei Bodeneffekten, die man auf jeden Fall mit Zerrung anblasen muß/sollte/könnte (etwa ein Octavia).
4. Und dann gibt es alte Treter, die einfach sehr speziell und originell klingen und mit einem Multi-Effekt nicht kopiert werden können. Ich habe z.B. einen alten 80er Jahre Ibanez CS-505-Chorus - da interessiert mich nur ein einziges Setting: Speed auf fast null, Intensity voll auf. Das ergibt so einen "Synth-Flange"-Sound, wie ihn manche Mini-Moogs in den Siebzigern hatten, aber nur, wenn es stromaufwärts schon mächtig heavy cruncht. Einschleifen sinnlos (wg. Pegelanpassung und Nebengeräuschen), also muß ein Distortion-Pedal davor. Die Kombination mit einer True-Bypass-Box in eine separate Loop gelegt, und schon hat man wieder eine originelle Soundvariante, ohne sich im Bypass mit Klangverlusten rumärgern zu müssen.
5. Stichwort Steptanz: Mit einem Midi-Kontroller incl. Expression Pedal(en) und Amp-Kanalwahl kann man auch beim Umschalten ins Schwitzen kommen, wenn man diverse Sounds mit verschiedenen Amp-Einstellungen kombiniert und dann für 40 Sounds durch die Bänke flitzen muß. Bei Tretminen kann man sich da auch schon einiges durch die oben erwähnten Bypass-Loops ersparen. Nehmen wir an, Du brauchst mal öfter einen "Police-Sound" (Compressor, Chorus + kurzes Delay), dann schaltest Du eben die drei Burschen ein und rufst diese Kombination mit einem einzigen Tritt auf die Bypass-Box ab.
Also wenn man gern mit vielen verschiedenen Sounds arbeitet oder mit ganz speziellen, haben diese Zerrer-Teile auch im Hi-Gain-Zeitalter schon noch ihren Sinn, Störquelle hin oder her (die Hauptstörquelle ist in meinem Fall meist der Bereich zwischen den Ohren). Außerdem macht´s mir selbst Spaß, die Dinger ganz un-virtuell vor mir zu sehen (würd´ ich nie ins Rack stellen, man kann auch so schön mit den Zehen an den Reglern rumfummeln, im Rackbetrieb sähe das höchstens origineller aus) und ohne Programmierstreß auf Knopfdruck das zur Verfügung zu haben, was ich gerade will. Multi-Effekte (Replifex/Intellifex) benutze ich zusätzlich (best of both worlds) - die haben auch ihre Vorteile, aber so ein Streßbrett ist live sehr flexibel zu handhaben (um z.B. in einem Multi-Effekt einzelne Effekte aus der Gesamtkette ein- oder auszuschalten, braucht man schon fast wieder ein All Access oder was Vergleichbares).
Na ja, und Spiel- und Sammeltrieb sowie Nostalgie ist auch dabei. Ein Fuzz-Face neben einem Voodoo-Vibe neben einem Lovetone Doppelganger sieht einfach schärfer aus als jedes 19-Zoll-Teil - das Auge hört ja schließlich mit - das brauch´ ich neben dem Blick ins Weiße des Auge des Fans, um live in die angemessen gefährliche Stimmung zu kommen.. Und dann der genetisch verankerte Frickeltrieb -der eine schraubt an seinem Vergaser, der andere am "Voodoo Rig". Where else could a man be a man.
Und wenn ich jetzt mal so ganz nebenbei in Rage kommen darf: Was sollen überhaupt die ganzen stinklangweiligen technischen und finanziellen Argumente für/gegen Bodentreter? Hauptsache, it rocks! Und die psychische Komponente: An einem abenteuerlich verkabelten Streßbrett läßt sich doch die multiple Persönlichkeit des Gitarreros incl. seiner ganzen Vorgeschichte resp. Schwangerschaftsverlauf wohl eher diagnostizieren als an einem scheißlangweiligen 19-Zoll-Digital-Teufelszeuch-Teil, oder? (Okay, am Spielen hört man´s gelegentlich auch). Eine der letzten Möglichkeiten, sich als Gitarrist individuell zu outen und expressiv zur Geltung zu bringen, ist doch das unkonventionell und unverwechselbar konzipierte EFFECTS BOARD! Oase der freien Assoziation, des schöpferischen Spieltriebs, Refugium der Originalität und ungebremsten Dilettantentums, das live instantly and erbarmungslos bestraft wird! Und erst der Lötflash! Und natürlich die Befriedigung, out of Yesterday´s Schrott das in jedem Sinne Unerhörte rauszukitzeln. Ich hatte im übrigen eine schwere Kindheit, was ich durch verstecktes absichtliches Falschspiel sowie deutliches 60 Hz-Brummen und sonstige Nebengeräusche zu überdecken versuche, in diesem Sinne ist mein TALENT BOOSTER PEDALBOARD unverzichtbarer Teil meiner Gesamt-Performance. Was interessiert da schnödes Ökonomie-Kalkül hinsichtlich Platzbedarf, Nebengeräuschverhalten, Fehleranfälligkeit, Kompliziertheit der Bedienung, Preiswürdigkeit etc. etc.?
Der einzige Streß übrigens, den ein Streßbrett bei mir als Nicht-Albaner erzeugt (deshalb heißt es wohl auch so), ist der, welcher sich einstellt, wenn beim Soundcheck Sänger, Bassisten oder sonstiges Hilfspersonal ungelenk über die Bühne tappen, sich dann aus ihrer talentfreien Zone völlig sinnlos aber zielstrebig in mein Gitarristenrevier verirren und dann, den Blick fest auf die Scheinwerfer an die Decke oder die PA-Boxen in großer Entfernung gerichtet, pirouettendrehenderweise mit ihren geschmacklosen aber stabilen Cowboy-Boots immer haarscharf neben eins meiner Vintage-Schätzchen treten (Kabelbrüche, ausgerissene Anschlußbuchsen etc.). Ich erwäge mittlerweile, gegebenenfalls auf ein Eingießen in Frischbeton zurückzugreifen (bezüglich des Brettes, die Mafia-Variante wäre aber auch denkbar).
So, Oliver Du ehrlich Interessierter, wie Du siehst, ist eben alles in dieser Welt auf gar wunderbare Weise innigst miteinander verwoben. Von der Fuzzboxfrage ins Zentrum des Universums. Wat will uns dat lernen? Ich meine, nein. Anfall zuende. Möge der Buzz mit Dir sein. Machen wir ein Fuzz auf.
NP: Paul Young: Paul Young (1997). Kennt westlich des Pecos keiner, nur ich (HAR, HAR!). Eingespielt mir seiner texanischen Hobby-Band, mit der er gelegentlich durch die Pubs tourt: Tex-Mex-Klänge, Slide und Pedal Steel, Dobros, Igelz-Chöre, Schmalz bis zum Abwinken. Saugut.