Hi Oly und alle anderen Beteiligten,
auch wenn's abgedroschen klingt: Mir geht's genauso! Ich hab' das Problem allein schon zuhause, wenn ich mich aufnehm' - sobald ich's abhör': brrr! Gitarre nicht gestimmt (dabei hab' ich vorher 'ne halbe Stunde dran rumgeschraubt ...), Timing wie 'n schwangeres Känguru und Gesang wie das letzte Geständnis auf dem Scheiterhaufen. Also, nimm dich zusammen: nochmal! Aber jetzt - Scheiße, die schwierige Stelle, da viel zu leise, Einsatz verpaßt ...
Hier ist die Musiker-Polizei allgegenwärtig und die linke Gehirnhälfte läßt nichts mehr ungestraft durch! Stimmung? Gefühl in der Musik? Spaß? Wo? Versagensangst, bestehen müssen, Können zeigen, nicht die Gunst des Publikums verlieren - das Ergebnis ist dann mitreißend wie ein Bernhard Brink-Konzert.
Bei der Session war ich selbst irritiert, weil ich in kurzen Pausen meine akustische dermaßen dominant hörte, daß sofort die Angst aufstieg - ouh Mann, jetzt hört jeder jeden Scheiß, den du machst. Ich war dann irgendwie froh, vermeintlich ganz im Gesamtklang unterzugehen und als es mir dann fast wurscht war, ob mal 'n falscher Akkord rausrutschte oder ich den ausgefuchsten 7/8el nicht noch mit 'nem 5/8el und 'nem 2/8el toppen konnte, kam auch der Spaß an der Sache.
Ich hab' ja, kurz nach der Session, schon im Grünen gesagt, daß Ihr alle mächtig was auf der Pfanne habt und Dir, Oly, hab' ich den Vollprofi-Entertainer angemerkt (ich geh' Dir hier nicht bloß um den Bart!). Vielleicht hast Du wo falsch gespielt, vielleicht irgendwo falsch gesungen - mir ist nichts davon im Gedächtnis. Das heißt für mich: Wenn Fehler drin waren, sind sie nicht in's Gewicht gefallen. Oder sie waren sogar das Salz in der Suppe!
Absolute Schönheit, Ebenmäßigkeit ist langweilig, alles Perfekte macht, wenn auch nur unterschwellig, Angst (Versagensangst ... siehe oben) und wer ist unausstehlicher als ein Mensch, der "fehlerlos" ist? Ich sag': An so einem Menschen hat man nur noch keine Fehler entdeckt.
Bob Dylan, Mark Knopfler, Tom Waits - können die "singen"? Sicher nicht im "klassischen", herkömmlichen Sinn. Aber "Just Like A Woman" von Pavarotti, "Brothers In Arms" von Karel Gott und "Downtown Train" von Rudolf Schock ...?
Drüben im Grünen läuft ja grad' der Thread "Musiker=Poeten" (der gehört übrigens so langsam wieder nach oben!) - da gibt's einiges, was hier auch mit einfließt.
Das "Handwerk" Musik läßt sich kaum abschließend beschreiben, es scheint hauptsächlich Niveau-Unterschiede zu geben (der eine kann drei Griffe, der nächste drei Tonarten, der dritte achtzig Skalen, der vierte ist Dr.mus. oder sowas) - auf welchem Niveau spielt die Bloodhound Gang? Und "The Bad Touch" ist für mich einfach ein Riesenohrwurm!
Das Niveau, auf dem einer das Handwerkliche beherrscht, ist eins - aber entscheidend ist das "Produkt", nämlich die Musik, die dabei rauskommt. Musik, die mich nicht anmacht, wird auch durch Weltmeistertitel des Aufführenden nicht besser. Und nur Musik, die Feeling ausstrahlt, die in mir etwas bewegt, macht mich an.
Und Eure Musik hat mich angemacht und das Besondere war, daß ich da auch mitmachen konnte. Mir wird zwar selbst schon wieder flau bei dem Gedanken daran, daß meine Spielfehler irgendwann im Internet zu hören sind, aber - vielleicht sollte ich's anders rum sehen: irgendwann kann man das, was ich "richtig" gespielt hab', hören. Im Nachhinein ärgere ich mich, daß ich's nicht doch Solo probiert hab'; The Boxer wäre zwar stilistisch aus dem Rahmen gefallen, aber ... Also, das nächste Mal mach' ich's! (Also gut, ich will ja nicht drohen ...)
Übrigens - Pepe: Hast Du die beiden Psychologen schon mal gefragt?
Cheerio
Hans-Jürgen