(War gestern) Alan Holdsworth - oder der Jazz und ich...


[ verfasste Antworten ] [ Ganzer Thread ] [ Aussensaiter-Forum ]

Beitrag von andi-o vom April 12. 2008 um 09:30:21:

Liebe Gemeinde,

hier ein kleiner, sehr subjektiver Konzertbericht am frühen Samstag morgen. Gestern abend spielte, quasi bei mir vor der Haustür, eine Legende; Alan Holdsworth, zusammen mit Jimmy Johnson am Bass und Chad Wackermann an den Drums. Legenden vor der Hautüre, genauer gesagt im Kultur Cafe/Kneipe/Kino Linse in Weingarten, sind natürlich Pflicht - auch wenn die CDs, die ich von Herrn Holdsworth besitze, ob iher musikalischen Sperrigkeit ganz weit hinten in der Sammlung schlummern.

Nun denn, das Vorprogramm bestritt ein Mann, dessen Name ich mir nicht merken konnte, auf einer Akustikgitarre - bei dem dachte ich mir, Junge, wenn du Schlagzeug spielen willst, spiel' Schlagzeug .... na ja, auf jede klingende Note kamen ca 25 rhythmische Klopfer, Rappeln an abgedämpften Saiten etc. pp., das nervte mich schon nach dem zweiten Stück, zum glück dauerte der Vortrag nicht all zu lange...

Dann, nach einer kleinen Pause, betraten der Meister und seine beiden Kollegen die Bühne. Alan Holdsworth hatte eine Headless-Gitarre umhängen, mit nur einem Steg Pickup bestückt, obwohl das Ding eine Strat-Mensur besitzz, sah es am baumlangen Alan Holdsworth mit seinen Riesenpranken aus, wie ein Pingpongschläger mit langem Stiel - dafür spielte der eher zierliche Jimmy Johnson einen riesiegen (Alembic?!) 5 Saiter zum Ausgleich. Holdsworth spielte 2 Hughes & Kettner Combos, die je auf einer H & K 4x12 standen, hinter einem schwarz verhängten Tischchen, auf dem Holdsworth ein Effektboard mit mir unbekannten Kistchen platziert hatte, welche er per Hand schaltet, stand noch ein H & K Topteil, ich konnte aber leider nicht erkennen, um welches es sich handelte. Mit zwei Expressionpedalen kontrollierte er seine Sounds, mit dem einen blendet er vom Clean- zum Leadsound über, mit dem anderen fadet er im Cleansound seine Akkorde ein, um diese Keyboardähnlichen Sounds hinzubekommen. (Für die Drummer: Chad Wackermann bearbeitete ein DW Set ;-)

Los ging's mit der ersten Nummer. Holdsworth spielt Voicings getreu seinem Motto "the search for the uncommon Chord" - dabei deckt er mit seinen riesigen Händen und extremen Fingerspreizungen teilweise irrwitzige Lagenabstände ab - Gitarristen mit "Durchschnittsanatomie" müssten da schon längst passen. Die Chordsolo-Melodien von Holdsworth sind schon sehr beeindruckend, über den harmonischen Gehalt und dessen Vertracktheit könne man wahrscheinlich Bücher schreiben. Das ständige per Pedal Einfaden bedingt, das Holdsworth ständig wie festgetackert vor seinen Amps steht (Grossen Bewegungsdrang scheint er aber auch nicht zu haben ;-) Dann setzt Holdsworth zum ersten Solo an - Trademark-Linien mit saxofonähnlichem Sound ohne hörbaren Anschlag, in Lichtgeschwindigkeit - nee, das ist gefühlt eher doppelte Lichtgeschwindigkeit. Da klappt so manche Gitarristenkinnlade im Publikum nach unten. Unterstützt wird Holdsworth dabei von Chad Wackermanns rhythmischen Variationen der jeweiligen Taktart - ein Break folgt dem anderen, punktgenau im Zusammenspiel mit Jimmy Johnson, der auch des öfteren Gelegenheit zu ausführlichen Basssolos bekommt.

Sphärisch, vertrackt, beeindruckend virtuos. Dann die nächste Nummer. Holdsworth beginnt mit seinen flächigen wahnsinns Voicings. Sphärisch, vertrackt, beeindruckend virtuos. Die nächste Nummer wie die beiden zuvor, Sphärisch, vertrackt, beeindruckend vir....

Ja nee, is klar. Der Schweinerocker in mir fängt an sich zu fragen, wann den mal ein Thema bzw. ein "Song" auszumachen ist, bei all den Sphären, Breaks und der unglaublichen Virtuosität - mein Sitznachbar, ein Gitarrenkumpel aus alten Zeiten, raunt mir angesichts meiner wohl etwas kritischen Miene "das ist eben Jazz" ins Ohr. Aha, das ist also Jazz. Ich frage mich, wo denn bei Herrn Holdsworth die Gänge 1-5 verstecks sind - Er legt nämlich bei jedem Solo bereits im sechsten Gang los, hält das Tempo durch und beendet die Soli so unvermittelt, wie er sie begonnen hat. Dramatik, Steigerung, wiederkehrende Motive, ich traue es mich bei einer Legende ja kaum zu sagen: Feeling? Alles Fehlanzeige. Ein paar Hardcore Holdsworth Fans brechen nach jeder Highspeed Einlage des Mesiters in Gejohle aus - ich schaue derweil auf die Uhr, und frage mich, wie lange es denn noch dauert. Uff, erstmal Pause, ein Bierchen zum Nervenberuhigen. Es geht weiter. Selbes Schema wie gehabt - Sphären mit Breaks von Wackermann, der, nebenbei bemerkt, ein unglaublich beeindruckender Drummer ist, der schickt einen Punch aus seinem Set, den man seinen Spaghetti-Ärmchen niemals zutrauen würde. Taktfestigkeit hat er anscheinend in die Wiege gelegt bekommen, so traumwandlerisch wie der die 1 im Takt wiederfindet, nach all den Breaks.... Tja, aber die Stücke an sich - um mal Loriot zu zitieren "Ja, das ist Burgunder und das ist Bordeaux - das ist Qualität - einer, wie der andere, abgezapft und originalverkorkt..."

Ich weiss nicht. Was sich da vor mir abspielt ist musikalisch, technisch und harmonisch ganz grosses Kino - und es berührt mich nicht im geringsten. Nachdem ich nach den ersten 2-3 Solis meine Kinnlade wieder hochgeklappt habe, wünsche ich mir ein Bending, einen genussvoll gehaltenen Ton, eine Linie, an die man sich auch noch nach einer Stunde erinnert. Aber es bleibt das selbe Gegniedel, in jedem Stück. Griffbrett hoch, runter und wieder hoch. Mit Saxofon-Ton. Hmja.

Ich sitze im Auto nach hause, John Sykes spielt "Still in Love with you" und ich bekomme ne Gänsehaut beim Solo. Die erste und einzige des Abends. Ich muss mich wohl damit abfinden, dass ich in diesem Fall die Sau bin, an die Herr Holdsworth seine Perlen vergebens verschwendet hat. That's live.

Ach ja, Wolfgang Kehle, der Chef-Trankribierer (Transkripteur - Transkribator?) von Gitarre&Bass war auch im Publikum, vielleicht wird die deutsche Gitarristenwelt demnächst mit einer entsprechenden Transkription beglückt, who knows. Immer hin habe ich doch noch ein Stück (Devil Take The Hindmost) wiedererkannt - ist doch was, für einen Nicht-Jazzer...




Grüße,

Andreas


verfasste Antworten:



Dieser Beitrag ist älter als 3 Monate und kann nicht mehr beantwortet werden.