Re: (Philosophie) Der Sound kommt aus den Fingern
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Beitrag von The stooge vom Januar 12. 2005 um 00:07:27:
Als Antwort zu: (Philosophie) Der Sound kommt aus den Fingern geschrieben von Matthias am Januar 11. 2005 um 20:11:34:
Mojn Matthias & bO²gie
: Spielen zwei Gitarristen dieselben Töne über dasselbe Equipment, werden sie unterschiedlich klingen. Das ist sozusagen der Satz "Der Sound kommt aus den Fingern" in Langform, die nicht weniger abgedroschen ist aber einen geringeren Brechreiz verursacht. Ich denke mal, dass das auch weniger eine These als vielmehr eine Tatsache ist.
Schreiben zwei Menschen denselben Text mit denselben Stiften, so haben sie doch eine unterschiedliche Handschrift. Dies ist sozusagen besagter Satz in Banalform. Und das ist ganz eindeutig keine These, sondern eine Tatsache, die auch gerichtsnotorisch ist und an der niemand bei Verstand herumdrehen wird.
Aber damit ist das Problem natürlich nicht erschöpft. Ein englischer Malereitheoretiker des frühen 18. Jhs., mit dem ich mich zur Zeit herumschlage, hatte nämlich offenbar ähnliche Sorgen. Damals begann es zu dämmern, dass nicht alle Maler (=Gitarristen) wie Raffael oder Michelangelo (=Clapton oder Hendrix) malen (=klingen) konnten und auch sollten. Sondern dass es noch Leute wie Veronese (=Santana), Caravaggio (=Keith Richards) und viele andere mehr gab, die auch ihren eigenen Reiz hatten. Und für den Theoretiker stellte sich ein verwickeltes Problem; hieß es vorher nur: Giulio Romano (=Mark Knöpfel) = 7/8 so gut wie Raffael, so fragte man sich jetzt: Warum malen sie alle verschieden? Warum sind sie gut? Wie kann ich sie auseinanderhalten? Und warum ist es wichtig, sie aueinanderzuhalten?
Die erste Frage konnte er als guter Christ bündig beantworten: Weil sie nicht Gott (=Clapton, scnr) sind. Denn nur der ist perfekt, die Menschen sind fehlbar und leben unter unterschiedlich beschränkten, Umständen. Die zweite Frage fiel auch nicht schwer: Weil sies gelernt haben. Die dritte Frage machte mehr Kopfzerbrechen. Denn um es zu lernen, kopierten sie andere, im Normalfall diejenigen, in deren Werkstatt sie lernten. Deswegen ist junger Van Dyck von altem Rubens (=alter Gary Moore von ganz altem Albert King) so schwer auseinanderzuhalten. Und manche wie Daniele da Volterra (=Robin Trouwer) unterschieden sich nie so richtig von ihrem Vorbild. Und gefielen auch nie so richtig. Die vierte Frage fand eine verblüffende Antwort: Weil sie nur in ihrem eigenen Stil, den sie im Lauf der langen Auseinandersetzung mit anderen Malern herausgebildet hatten, sie selbst und damit richtig gut sein konnten. Kein Maler (=Gitarrist) kann in einem fremden Stil besser sein als der, dessen Stil er nachmacht. Das war die Entdeckung der Individualität in der europäischen Kunstgeschichte. Keineswegs selbstverständlich, aber folgenreich.
Seltene Gelegenheit, dass ich mal aus meinem Beruf was zur AS-Diskussion beisteuern konnte.
Schöne Grüße, Mathias
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