Re: Urheberrechtsreform - warum eigentlich nicht?
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Beitrag von Tom(2) vom September 17. 2003 um 15:39:51:
Als Antwort zu: Re: Urheberrechtsreform - warum eigentlich nicht? geschrieben von Matthias am September 17. 2003 um 15:25:26:
Ich lehne mich jetzt mal weit aus dem Fenster... Die MI hat doch mit dem Umstieg auf die CD die Grundsteine selbst gelegt dafür, dass aus "Musik" auf einmal "Daten" wurden. M.E. wurde schon immer "Musik geklaut" und es wird auch weiterhin geschehen. Die großangelegte Kopiermaschine in Fernost oder sonstwo, die mit gefälschten CDs den MArkt überfluten wird die MI mit diesen Maßnahmen nicht beeindrucken. Wen es aber trifft, sind Leute wie Du und ich - ich selbst kaufe keine CDs mehr. Nix nada. Ich höre auch iim Radio keine Musik mehr, die mich wirklich anspricht. Vorbei die Zeit, in der ich mir Listen geschrieben habe mit Songs/Interpreten, die ich mir anhören und/oder kaufen wollte. Wohlgemerkt - ich habe fast keine gebrannte Musik CD zuhause - einfach weil ich "die cd" haben will, wenn mir die band gefällt. aber - selten gefällt mir ein komplettes album. und bei einem preis von über 16 EUR für ne CD werde ich eben empfindlich. in mir hat die MI einen konsumenten verloren - und nicht, weil ich mir jetzt cds saugen und brennen könnte, sondern einfach aufgrund der preispolitik, der gleichschaltung und der grenzenlosen ignoranz der musik gegenüber, die in den konzernen herrscht. ich möchte hier nun eine stellungnahme zitieren, die ich für sehr treffend halte:
"Es reicht wohl nicht, daß Generationen von Musikern von der Branche in den Allerwertesten gefickt wurden, seit geraumer Zeit sind auch die Konsumenten dran, weil viele sich die beschissene Preis- und Produktpolitik, die zunehmend seit Einführung der CD praktiziert wird, nicht mehr gefallen lassen, sondern sich Musik kopieren, kostenlos runterladen und untereinander austauschen. Und anstatt sich darüber Gedanken zu machen, setzen die Lobbyisten der Musikindustrie eine neue Gesetzgebung (pdf-file) durch, die seit dem Wochenende gilt und in deren Folge nun auch das Recht zur Erstellung einer Privatkopie zum Eigengebrauch (wie das Präfix "Privat-" bereits andeutet) im Auto oder im MP3-Player etc. faktisch nur noch auf dem Papier besteht.
Aber das reicht den Gierschlünden offensichtlich nicht aus.
Zuerst stand heute morgen bei Golem zu lesen: "Musikindustrie fordert Abschaffung der Privatkopie". So wurde wohl im Rahmen eines Symposions zur Novellierung des Urheberrechtsgesetzes vom Bundesjustizministerium und dem Institut für Urheber- und Medienrecht vom Interessenverband der Phonographischen Industrie (IFPI), der Interessenvertretung der Musikbranche, die vollständige Abschaffung der Privatkopie sowie "die Rückführung der Privatkopie in ein Exklusivrecht" (Gerd Gebhardt, Vorsitzender der deutschen Phonoverbände) gefordert. Schließlich seien analoge Kopien zur Befriedigung privater Bedürfnisse ausreichend. Lediglich für den wissenschaftlichen Gebrauch und für öffentliche Archive seien nach Ansicht der Musikindustrie digitale Kopien auch künftig tolerabel. Damit soll eine gerechte Vergütung der Leistungen von Künstlern und Verwertern gewährleistet werden (die beschissenen Verträge, mit denen viele Künstler ausgenommen werden, unterzieht man indes nicht einer Überprüfung). Im Zuge der angemahnten weiteren Gesetzesänderungen soll in Zukunft sogar nicht mehr jeder Radiosender jede Musik senden dürfen (die schneiden sich wieder ins eigene Fleisch). Außerdem sollen unter anderem Auskunftsansprüche seitens der Musikunternehmen gegenüber Internet Service Providern verbrieft werden, um direkt gegen "Rechtsbrecher" vorgehen zu können (unter Umgehung des Datenschutzes selbstverständlich, Stichwort "Preisgabe von Kundendaten"). Darüber hinaus sollen Provider verpflichtet werden, selbst gegen ihnen bekannte Gesetzesverstöße vorzugehen (polizeiliche Hoheitsrechte an Unternehmen?) sowie zur Abschreckung ein Verletzerzuschlag im Schadenersatzrecht eingeführt werden. Sonst geht's noch!
Die Industrie bastelt an einem neuen Markt.
Am Abend wurde bei Heise unter "Musikindustrie will Recht auf Privatkopie drastisch einschränken" dazu einiges weiter ausgeführt. Laut dem Positionspapier des IFPI soll durch die bereits erwähnte "Rückführung der digitalen Privatkopie in ein Exklusivrecht" die "ausschließlich analoge Nutzung" zur Folge haben. Damit soll ein Markt für Privatkopien entstehen, denn Kunden könnten zukünftig das Recht auf eine private Kopie separat erwerben. Das ist doch wohl der Gipfel. Wir sollen nicht nur für die CD, sondern auch noch für weitere Kopien bezahlen. Der bereits erwähnte "Verletzerzuschlag" ist in Höhe des Zweifachen der eigentlichen Lizenzgebühr geplant. Und sollte es zu juristischen Auseinandersetzungen kommen, möchte die Industrie selbstverständlich nicht mehr im Einzelfall ihren Rechtsanspruch an einem urheberrechtlich geschützten Werk nachweisen müssen. Die Nachweispflicht der Industrie würde somit ersetzt durch eine "gesetzliche Vermutung zugunsten der Leistungsschutzberechtigten", womit die Beweislast dann bei demjenigen läge, dem die Urheberrechtsverletzung vorgeworfen wird. Was ist aus der guten alten Unschuldsvermutung für den Angeklagten geworden? Von den neuen Vorschlägen sind aber, wie es scheint, nicht nur die Konsumenten betroffen, auch gegenüber Künstlern soll es in Zukunft möglich sein, dass diese auch für bisher nicht bekannte Nutzungsarten ihre Nutzungsrechte an die Plattenindustrie abtreten. Ja, haben wir denn schon Weihnachten?!? Als würden die meisten Musiker nicht schon genügend über den Tisch gezogen, wie Steve Albini und Courtney Love eindrucksvoll dargelegt haben.
Hoist by their own petard.
Mit all den vorgeschlagenen Maßnahmen soll wieder einen "funktionsfähiger Markt" hergestellt werden. Dabei übersieht die Industrie in ihrer maßlosen Selbstherrlichkeit, daß sie sich den Markt selbst kaputt gemacht hat. Ich erinnere nur daran, daß wir mal ein hochwertiges, funktionierendes Produkt, die Vinyl-LP hatten. Dann kam die Industrie und drückte die CD durch, die zugegebenermaßen die Vorteile der Portabilität und des erhöhten Bedienkomforts haben. Aber die Soundqualität hat sich deutlich verschlechtert und was die Haltbarkeit angeht, bleibt noch zu beweisen, ob die CDs wirklich länger halten als die Vinylplatten (ganz zu schweigen davon, daß auch heute noch Musiker in ihren Verträgen wegen der CD über den Tisch gezogen werden). Und das beste daran ist doch, daß mit Einführung der CD die Digitalisierung von Musik ihren Anfang nahm. Damit war der Grundstein für das ganze Kopieren, Komprimieren, Versenden und in Tauschbörsen feil halten erst gelegt, schließlich hat die Digitalisierung Musik zur Datei gemacht, welche nun eben als Commodity im Internet feilgeboten wird. Dumm gelaufen, was? Und wer hat denn dafür gesorgt, daß die Artenvielfalt am Musikmarkt zunehmend eingeschränkt wurde und wir mit Retortenbands und -sängerInnen nur so bombardiert wurden? Wer alles dafür tut, nur noch Einheitsbrei zu liefern, darf sich wirklich nicht wundern, wenn die Gäste an der Tafel keinen Nachschlag mehr wollen. Immerhin stieß ich heute bei Anke Gröner auf einen wirklich interessanten Artikel der Denver Post, der darauf hinweist, daß die Filmindustrie es der Musikbranche vormacht, wie man sein Produkt trotz der Tauschbörsen sowie des Kabel- und Satellitenfernsehens gut verkauft. Mit einer vertretbareren Preispolitik, intelligentem Design, netten Zusatzfeatures etc... Sehr lesenswert, sauber argumentiert, mit interessanten Einblicken in die jeweiligen Branchen und deren Fehler respektive deren Cleverness gespickt. Wann wird die Musikindustrie endlich raffen, daß sie dabei ist, eine breite Kundenbasis zu vergrätzen, und daß ihr einziges wirkliches Heil in der Überarbeitung ihres Produktes liegt."
Ich selbst sehe das "tauschen/kopieren/downloaden" nicht als trotzreaktion der konsumenten, aber doch einen zusammenhang zwischen teuerpreisen, gewinnmaximierungsbestreben und dem immer mehr bevormundeten konsumenten.
Tom
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