(Philosophie) SO FUNKTIONIERT DIE MUSIKINDUSTRIE WIRKLICH


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Beitrag von Martin Abend vom Februar 08. 2003 um 13:01:56:

SO FUNKTIONIERT DIE MUSIKINDUSTRIE WIRKLICH

Kobalt Stern

Eine neue Platte. HURRA, eine neue Platte! Noch eine. Die keiner will, keiner braucht, keiner hören muß oder mag. Der Produktmanager weiß das. Er sitzt in seinem kleinen Büro in der großen Zentrale des weltumspannenden Multimediaunternehmens und denkt: "Scheiße, schon wieder eine neue Platte." Der Produktmanager will eigentlich nur in die Sauna, schwitzen bis zum Verdunsten, aber jetzt muß er erstmal nachdenken, denn dieses DING hier ist seit 15 Wochen Top Ten in Schweden und muß also auch hierzulande (bei uns, DEUTSCHland, drittgrößter TonträgerMARKt der Welt) GELD bringen, KOHLE, KIES, CASH etc. Der Produktmanager guckt aus dem Fenster, er seufzt, er säuft (Kaffee), er trägt die Verantwortung (von einem Raum in den nächsten), denn jetzt geht er in die Promotionabteilung. Er sagt zur Chefin dort: "...15 Wochen....Schweden...Umsatz...Optimierung..." So, jetzt schnell noch eine Anzeige entworfen, vielleicht mal auch in ein paar Zeitungen gesetzt (damit die jemand sieht, oder?) und dann in die Sauna. Draußen regnet's. Scheißtag!


Etwas später im Westflügel des multinationalen Verwaltungschloßes: Der Marketingchef bekommt eine E-Mail vom Produktmanager (aus der Sauna, denn mobil ist modern), von wegen Schweden (hohe Steuern) und jetzt mal Erfolg: Was können wir da tun. Der Marketingchef ist jung, dynamisch und strohdumm, hat aber Angestellte, denen er den letzten Scheiß aufdrücken kann, denn sie sind noch jünger, dynamischer und auch dümmer. Also Jungs, was denkt ihr: "Was tun wir damit, mit diesem Ding hier, aus Schweden?", fragt er, während er aus dem Fenster guckt (draußen Regen, im Industrieviertel brennt ein Freizeitpark). "Schweden", assoziiert einer, "Ikea, wir verleihen Elche." "Verleihen?", sagt der Markentingchef. "Verlosen, das heißt verlosen. Große Verlosung. Motto: Elche, denn wir wären gerne selber welche." Sehr gut! Allgemeine Anerkennung, Schulterklopfen, fein gemacht. Später einigt man sich aber doch auf Fischpaste. Ist auch aus Schweden, aber billiger. Motto: FrISCH gewagt ist halb gePOPpt.


"Scheißplatte", denkt derweil die Promochefin. Und: "Schweden? Mein Arsch!" Aber, naja, die Miete will bezahlt werden, die Katze gefüttert, der Dispo ausgeglichen. Und Schminkzeug kaufen, das auch. (Schnell macht die Promochefin einen Einkaufszettel, aber nur mental.) "Aktivitäten!" brüllt sie dann, und prompt kommen die Assistenten. Sie hüpfen um ihren Tisch wie Eichhörnchen, denn sie sind jung und
engagiert und modern, außerdem auch unterbezahlt, aber das haben sie noch nicht gemerkt. "Abschicken, anrufen, nachhaken, zack, zack!", sagt die Chefin, wenn auch nicht wortwörtlich. Die Promohörnchen huschen zum Einsatz auf ihre TELEbäume. Sie stecken CD's in Umschläge, Fischpaste dazu und Beipackzettel, Adressaufkleber drauf, frankieren, der Bürobote schleppt's dann weg, womöglich zur Poststelle, man weiß das nicht so genau. Ein paar Tage passiert gar nichts (Wochenende, Sommerferien, Fußballweltmeisterschaft, KARNEVAL). Dann wird telefoniert: Hallo Medienpartner!


Der erste Medienpartner (freier Autor) war abends noch ziemlich lange in der Sauna, ach Quatsch, in der Szene-Kneipe und ist deswegen heute der letzte in der verwarzten Küche seiner Studenten-WG, wo es nix gibt, außer Gestank, weil, der Mülleimer ist schon wieder voll. Aber immerhin, die Post ist da, ein Päckchen vom multinationalen Entertainment-Elend, eine CD und eine Tube Fischpaste. Etwa acht Sekunden später klingelt das Telefon, das Promohörnchen ist dran: "Wie findst du denn die Platte aus Schweden? DUFTE, oder?" Medienpartner Eins antwortet: "SUPER! Echt SUPER Scheibe." Man unterhält sich noch ein bißchen im Jargon der 60er Jahre. Dann gibt's endlich Frühstück: Fischpaste auf Zwieback. Die Platte landet auf dem Stapel mit dem Zeug, das vielleicht noch gebraucht wird. Immerhin.


Medienpartner Nummer zwei (Redakteur) sitzt seit zwei Stunden in der Redaktion und macht Pakete auf. 5000 neue Platten heute, na zum Glück ist nicht gerade Saison. Vor ihm stehen fünf Telefone, die andauernd
klingeln, vor der Tür krakeelen freie Autoren um einen Job, doch das muß alles warten, denn jetzt kommt erstmal der Typ vom Secondhand-Plattenladen: "Guten Tag! Hier, nimm al mit, den ganzen Schamott, tausend Mark, danke, auf Wiedersehen." STEUERFREI! Der Tag hat sich gelohnt. Jetzt die Telefone. Da ist das Promohörnchen: "...Schweden...Top Ten...blabla..." Redakteur puhlt derweil in den Zähnen. "Außerdem haben wir tolle Fotos, von dem berühmten... na du
>weißt schon." (Alle duzen sich, denn alle sind hip und modern und jung und gehen andauernd in die Sauna.) Redakteur denkt: "Ich will ficken." Sagt: "Schick mal die Fotos. Und die CD auch. HAB'ICHGLAUB'ICH nich' bekommen." Ansonsten alles toll. Danach Auftritt freie Autoren: Ein kleiner Tanz zur Einführung, ein paar Pirouetten über den Schreibtisch, auch eine Lobeshymne auf den Redakteur (puhlt derweil in der Nase), und jetzt bittebittebitte: ein JOB. Zehnzeiler, Hundertzeiler, Interview, Reise nach Schweden, bittebittebitte. Na gut! Mach' mal. Danach endlich Mittagspause, Feierabend, Wochenende, Ferien, Rente, Tod. Uff, geschafft!
>
>
>Der Rest geht dann beim Duschen ab. Ach nein, natürlich: ...wie von selbst. Der freie Autor schreibt ("gute Platte"), verdient 15,80 DM und kauft sich davon Bier. Die Platte landet beim Secondhand-Dealer. Der Redakteur fügt dem Text drei bis vier sachliche und einen Rechtschreibfehler zu (es ist nachts um zwei und er ist total betrunken), verdient 8000 Mark und kauft davon Unterwäsche für seine Freundin. Die zweite Platte landet auch beim Secondhand-Dealer. Zeitung erscheint, wird gekauft (Zufall) und gelesen (halb). Plakate werden geklebt, Anzeigen in allen Zeitungen, Fernsehauftritt des schwedischen Stars (NDR 3, 23.45 Uhr, TM 3, 20.15) Der Vertrieb vertreibt hundertausend Stück Startauflage an die Elektrokaufhäuser, wo Plattenhändler, die sich an die multinationalen Weihnachtsgeschenke des letzten Jahres erinnern, riesige Stapel an der Tür aufbauen. Sieht aus wie Lego, ist aber in WÜRGlichkeit eine Musikplastik aus Plastikmusik. Im Radio läuft die Single aus dem Archiv des Senders, also schleppen alle Radiomoderatoren ihre Platten zum Secondhand-Händler. Die Konsumenten kommen. Hören die Platte. Hat vor ihnen niemand getan. Wird nach ihnen auch niemand mehr tun. Denn die ist ein Scheiß. Kaufen nix. Platte wird ein totaler Flop. Und eingestampft. Allen Beteiligten ist das aber EGAL, denn das neue Ding ist schon da (Finnland, 18 Wochen in den Top Five)


P.S. EINS: Der Secondhändler stellt zwanzig Exemplare der CD aus Schweden für 'n Euro das Stück in die Grabbelkiste auf der Straße. Am Abend, als er sie wieder reinholen will, sind sie von 'nem Junkie geklaut worden. Das gefällt dem Secondand-Händler. Froh geht er nach Hause und hört guten
Blues.


P.S. ZWEI: Der Star aus Schweden ist mit seiner Platte längst Millionär geworden. Er kauft sich eine Sauna in der Nähe eines Medienstandorts (Hamburg), verpachtet sie und läßt sich die Gewinne auf die Bahamas schicken.


P.S. DREI: Die Fischpaste war toxisch. Der freie Autor stirbt qualvoll und elend bei einer Vorlesung im Studiengang "Vergleichende Kulturwissenschaften". Niemand vermißt ihn.


P.S. VIER: Nächstes Jahr geht die WELT unter.



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