Konzertbericht, CD-Empfehlung, Abmeldung


[ verfasste Antworten ] [ Aussensaiter-Forum ]

Beitrag von ullli vom Juni 28. 2002 um 02:25:05:

Moinmoin - ist mal wieder etwas zu lang geworden, aber ich mag es nicht kuerzen, ich geh lieber in's Bett. Bitte nicht lesen, wenn ihr mein Gestammel nicht gut ertragt!

Auf dem Programm stand: Susanna Baca feat. John Medeski & Marc Ribot.

Medeski - klar, Medeski, Martin & Wood, straight-funkig bis athmosphaerig experimentelle New Yorker Truppe, John Medeski davon der Hammondist und sonstauch Keyboarder, Marc Ribot auch klar: Tom Waits Mann fuers extra-schraege und auch sehr gefuehlvolle Hintergrundtoene an der Gitarre.

Aber so klar ist das alles nicht, und dieser Abend hat mal wieder deutlich gemacht, dass die tollen Hechte nicht unbedingt die tollsten Schwimmer in jedem Teich sind. Stattdessen hat eine Band hingelangt, die an allen anderen Ecken geglaenzt hat, dass es eine Freude war!

Es kamen naemlich noch mit: Zwei Percussionisten, ein Gitarrist und ein Bassist - naja, und die Diva persoenlich. Schon eine echte, wahre Diva. Zentrum der Welt, aber Respekt vor freundlichem Publikum. Gesungen hat sie sehr schoen, nach den angekuendigten Querkoepfen war mir erst etwas langweilig - einige Stuecke klangen sehr nach der Musik, die der Erfolg von "Buena Vista Social Club" schon wieder unertraeglich gemacht hat - andere waren vielschichtiger, hatten andere Rythmen und auch andere Sounds. Nach ein bisschen einhoeren eine wunderschoene, beschwingend freundliche Musik.

Der von mir heiss erwartete Marc Ribot war bald vergessen oder zumindest verdraengt. Gitarristisch weit vorn lag der junge Mann mit der Godin-Nylongitarre, der Matthias ganz schoen aehnlich sah. Ein froehlicher, extrovertierter Kerl, der dermassen fluessig und vielschichtig auf seinem Instrument herumzupfte, dass mir eines von diesen Grinsen in's Gesicht stieg, dass ich nicht unterdruecken kann - so etwas passiert, wenn jemand aussergewoehnlich gut mit seinem Instrument umgeht und dabei auch noch Emotionen in mir kitzelt, die sonst sehr verborgen liegen. (Komischerweise passiert das besonders haeufig, wenn jemand unerwartete, groovende double-stops spielt. Also, das konnte er gut :0) ) Mein Held des Abends!

Der Bassist war etwas laut... aber auch wirklich gut, nur ein wenig sehr Effektbeladen an manchen Stellen. Er war auch der musikalische Direktor, und hat meinen Freund am Monitormischpult in's Schwitzen gebracht, weil seine Armbewegungen fuer "lauter, den Monitor" und "vier Durchgaenge und Schluss" identisch waren.

Die Percussionisten waren herrlich - einer sass den ganzen Abend breit grinsend auf seiner viereckigen Holzkiste namens Cajon und entlockte dem Ding eine ganze Tromellandschaft, der andere war ein typischer Krake, mit zig Schlaginstrumenten, alle auf einmal am krachen. Die haben zusammen die eigentliche Stimmung gemacht.

Fasziniert war ich davon, wie sehr die Band an Stellen auseinander fiel. Da sie teilweise schon seit vielen jahren zusammenspielen, kann man das nicht mal den manchmal komplizierten Rythmen zuschreiben. Besonders auffaellig war, wie gut sie, angefuehrt von der durchaus erotischen aelteren Dame, geradezu ekstatische Aufbauten hinbekamen, kurz vor dem Hoehepunkt der Ekstase aber den Absprung nicht fanden, und sich irgendwo verliefen, nur ganz kurz, aber irgendwie schade.

Die beiden Gastmusiker waren derweil irgendwie blass. Marc war laut Programm fuer elektrische Gitarre und Loops verantwortlich, ging aber doch sehr unter. Waehrend ich mir jetzt zu Hause die erstandene CD dazu anhoere, wird mir aber klar, dass das zu einem guten Teil auch eine krasse Fehlwahrnehmung war: Ich hatte mir nach den Aufnahmen mit Tom Waits und den Lounge Lizards einen wilden, verschmitzten, leicht fiesen Kerl vorgestellt, der aus sich herausgeht und einfach die Sau rauslaesst. Stattdessen ein extrem introvertierter Mensch, der sich um seine Gitarre kruemmt, selten Blickkontakt hat, nie laechelt und unglaublich angestrengt auf seinem Instrument herumfuehrwerkt. Da haben meine Augen irgendwie meinen Ohren verboten, neutral hinzuhoeren, worueber ich jetzt recht traurig bin. Obwohl der Mitschnitt vom Konzert schon bestaetigt, dass er live einfach zu sehr in Konkurrenz zur Hauptgitarre stand, und nicht, wie auf der CD Kontrapunkte und Effekte liefern konnte. Das Problem, live keine breite Stereoverteilung anbieten zu koennen, hat hier ganz schoen zugeschlagen.

John Medeski hatte aehnlich Pech, auch er traegt auf der Platte deutlich mehr zum Gerust bei, als live moeglich ist. Wenigstens ist er genau der "Mad Professor", den ich mir vorgestellt hatte, und seine Soli und Sticheleien sind einfach herrlich.

Abgesehen vom "Groove", der nicht zur Musik von Peru zu gehoeren scheint, jedenfalls fast den ganzen Abend abwesend war, und den beschriebenden Band-Eiereien war das ein sehr tolles Konzert. Ganz Diva war vor aller Erwartung nach kaum 95 Minuten nuechtern Schluss, aber der Sergio Valdeos an der Gitarre und Susana alleine hetten das Konzert schon zu einem Hoehepunkt meiner Leeds-Konzerte gemacht, der Rest war Bonus!

Wer keine Moeglichkeit hat, die Band unter vernuenftigem Aufwand zu sehen, aber suedamerikanische Songs und feine Gitarrenarbeit gewuerzt mit guten, abwechslungsreichen Zutaten mag, dem sei die CD "Espiritu Vivo" von Susana Baca und Band (und MR & JM) waermstens empfohlen!!!

Das war nicht nur mein letztes von erbaermlich wenigen Konzerten hier - das war auch mit grosser Wahrscheinlichkeit mein letztes ernsthaftes Posting aus Leeds. Wenn alles gut geht, bin ich in wenigen Tagen in Deutschland, und dann im Herbst in Wales, und irgendwann dann werde ich auch wieder regelmaessig in den Aussensaiter gucken. Bis dahin wuensche ich Euch allen eine gute Zeit, im Aussensaiter sowie im wahren Leben,

Liebe Gruesse & gut Ton & macht kein' Scheiss, wie die Hamburger sagen...
ullli



verfasste Antworten:



Dieser Beitrag ist älter als 3 Monate und kann nicht mehr beantwortet werden.