(Werbung / Glück-haben) Musikvideo prima Selberrmachen - Wie es dazu kam.


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Beitrag von groby vom Juni 26. 2006 um 18:58:48:

Hi.

"Schau Euch das mal an", meinte der Typ.

.. und dann habe ich mir das Musik-Video auf seiner Homepage mal angeschaut. Welcher Typ, wessen Homepage? Komm ich noch zu.

Aber erstmal dieses Video.

Oh Mann. Manometer, geradezu.

Zu sehen war eine schwarzbekuttete aber auch noch etwas pickelgesichtige Punkband die das macht was sie ihrer Auffassung von Rockmusik entspricht und in Tateinheit dazu das mimt, was sie meinen, das dazu gehört: Posen & Rocken, Sonnenbrillen, Motorrad, Schwarzlederjacken, gemeinsames Treppehinabgehen in tarantino-esquer "We are badass"-Zeitlupe.
Das Wort "Rocken" kommt auch als Imperativ im Titel vor. "Rock'n'Roll on!" genauer gesagt. Das hätte schon vorwarnen sollen.
Mein Lieblingsmoment kam, als der Bassist während des Spielens nach einem Bildschnitt plötzlich eine Zigarette im Mund wippen hatte. Frisch angezündet. Wie bemerkenswert natürlich und zufällig. Man konnte noch hören wie er zwischen den Takes die Idee hatte "Hey, Moment! Wenn ich im Video während des Spielens auch noch rauche, ist das der Höhepunkt an Coolness."

Das alles kann man natürlich auch augenzwinkernd als Parodie sehen. Aber parodieren ist wie mit "Regeln sind zum Brechen da".
Erstmal muss man es richtig können, anschliessend kommt brechen oder parodieren. Eine Parodie die wegen Nicht-Könnens des Originals vom Versuch des Ernstseins nicht unterscheidbar ist, ist fast schlimmer als es mal ernst zu versuchen und zu scheitern.

Was war noch zu sehen? Ach ja. Ein stinknormaler Proberaum, Eierkartons, ein Musikvideo, halt. Im Proberaum gedreht, dazwischen wilde Blue Screen Effekte und ein Special-Effekt-Blitz der nächtens in einen Kirchturm einschlägt. O-hauerha. Klischee-City.

Warum hatte ich mir das überhaupt angeschaut?

Ach, ja.

Rückblende:

Unser Bassist hatte mich angerufen: "Weißt Du noch der Typ der letztens unseren Gig im Bahnhof Langendreer gefilmt hat?" - "Der vom offenen Kanal?" - "Ja, genau. Der will ein Video mit uns machen. Kannst ihn selber fragen, wieso. Er kommt heute zum Proberaum."

Tja, plötzlich hatten wir einen Typen im Proberaum stehen, der sagte, er macht Videos und Filmarbeiten aller Art - zunehmend professioneller - und er hätte gerade Leerlauf und will daraus einen Lehrlauf machen, nämlich: Da sucht er sich immer ein Projekt zum Üben und Ausprobieren.

Sein Angebot: Er will mit uns ein Musik-Video machen, komplett, mit Ideen und kreativem Input und allem was er an Technik bieten kann - also einer Menge - für mau und er darf dann im Gegenzug das Produkt auch für sich selbst als Werbung verwenden, also für's eigene Portfolio sozusagen.

Er hat auch schon das Lied ausgesucht, nämlich von unserem Demo.

Was hat denn der Typ so vorher gemacht? Tja, alles was geht mit Film in der oberen Amateurliga mit Profi-Ambitionen. Auch 6 Musikvideos schon. Keine MTV-Produktionen, klar. Aber für Offenen Kanal, Promotion oder Spaßzwecke, halt. Eines der Videos war das auf der Homepage. Okay. Und um zu wissen, was da an Chance oder Schande auf uns zukommt, habe ich mir mal das Video auf seiner Homepage angesehen.

Gottohgott.

Aber das hatte ich ja schon erzählt, da oben steht's.

So.

Dieser Typ wollte also mit uns jetzt...?
Okay, unser Bassist raucht gar nicht. So schlimm kann's s also nicht werden. Außerdem, hatte uns der Videomann versichert, war jenes Video ja auch sein erstes mit einer Band überhaupt und liegt alles schon lange her, und so weiter.

Na gut, was soll's denn werden, das Video? Wie macht man das? Was soll darin zu sehen sein?

"Nun," meinte Videomann und kam schon mit Ideen: Wir filmen die Band erst im Proberaum, dann irgendwo anders draussen - mal alle zusammen, mal einzelne in Nahaufnahme, und dazwischen kommen Storytelling-Elemente des Liedtextes - nämlich eine Version des (für unseren Sänger aber untypischen) klassischen Motivs „Boy meets Girl, Girl hat aber schon einen Boy, Tja, Pech“.

Als Ideen im Gespräch: Fußgängerzone, Eisdielen, Einkaufszentrum.

Unser Klischee-Alarm kreischte aus allen Sirenen.

Wir versuchten, ihn davon abzubringen. Aber wenn man jemanden abbringen will, muß man wissen, wohin die Alternative gehen soll. Und wir wußten nicht wohin. Mit der Chance, ein Video machen zu müssen, hatte sich kaum einer je ernsthaft beschäftigt.

Und außerdem war hier einer, der es gut meint. Ein neuer Fan der Band, der uns einen ganzen Batzen Arbeitszeit und Einsatz einfach so schenken wollte. Einfach so. Weil er Lust dazu hat und uns mag. So einen vergrault man nicht mit einem barschen Abwinken.

Na gut. ähm ja also,okay. Ja, neh, gut, okay.

Eher hilflos als mutig haben wir dann gedacht: „Machen wir das einfach mal, mal sehen was rauskommt. Es hinterher keinem zeigen, können wir immer noch.“

Und so haben wir erstmal nur die Proberaum-Sequenzen aufgenommen. Videomann hatte Scheinwerfer direkt aus der Hölle mitgebracht und schon einen ganz konkreten und für uns verblüffend klaren und professionellen Plan. So machen wir. Licht hier, Band da. Erst dies, dann jenes. Super.

Und dann: Zwei Stunden im heißen Scheinwerferlicht Playback-Mimen. Brüt, brüt, schwitz, schwitz, hampel, hampel.

Ist übrigens sehr merkwürdig, dieses zum Playback-Spielen. Ist ein bißchen wie wenn man live spielt und der Monitormix schlecht ist. Man hört sich selber zwar, fühlt sich aber mit dem was man hört nur indirekt verbunden. Playback ist genauso wie so eine Art Auftritt mit schlechtem Bühnensound, nur das man an den Grund für diesen indirekten Sound erfreulich erinnert wird wenn man sich vergreift, aber dennoch wie von Zauberhand der richtige Ton erklingt.

Und sau-laut war es.
- Wie bitte?
- SAU-LAUT!
- Ach-so.

Nämlich: Erstmal muss Stimmung aufkommen. Also lautes Playback. Krach, Dengel. Dann Schlagzeug muss live dazu. Schlagzeug kann man nicht mimen. Also lautes Schlagzeug.

Wobei: Wir haben den Lautesten Drummer Der Ganzen Welt. Er hat auch unseren Standard-Spruch inspiriert: "Unser Schlagzeuger nimmt direkt auf, ohne Mikros. Wir stellen einfach die Festplatte neben die Snare."

Okay. Musik aus dem Boxen. Schlagzeug live. Lautes Schlagzeug live. Also hört man die Musik kaum noch. Also Musik lauter gemacht. Auf Proberaum-Laustärke. Und vielleicht noch einen Tick lauter. Um trotz Live-Schlagzeug durchzukommen.
Und natürlich über viele, viele Takes. Fast ohne Pause und mit doppeltem Höllenschlagzeug, einmal Playback sau-laut und einmal direkt hinter dir, auf Ohrenhöhe und auch sau-laut.

Das tut schon nicht mehr nur in den Ohren weh. Das sticht schon in den Augenhöhlen bei jedem Snareschlag. Man blinzelt zwangsläufig im Takt der Snare.

Aber tapfer gemeistert. Und mit guter Zusammenarbeit von Band und Videomann. Wir machen jede Idee mit, er ist offen für alles.

Und endlich geschafft. Dutzende Takes jeder einzeln, oft mehrmals, Zusammen mehrmals, Zusammen ohne Sänger mehrmals, nur Sänger mehrmals.

*ufff*

Okay, anschliessend: Videoman baut ab, sagt, wir müssten demnächst mal konkret überlegen wie wir die Schauspielsequenzen drehen.

Ähm, ja (*uff*), danke. Richtig, genau, die Schauspielsequenzen (*scheiße, fast vergessen, wieder*), Hurra, genau. Bis dann.

Und dann vergingen viele Tage in denen wir ein bißchen auf Zeit spielten, ihn solange hinzuhalten bis uns ein besseres Konzept einfallen würde. Mit dem wir die gefürchteten Storytelling-Shots des Videos ausfüllen oder ersetzen konnten.

Dann plötzlich rief Videomann an: Er hatte sich am Wochenende gelangweilt und hat aus den gedrehten Sequenzen schon mal eine Video-Idee zusamengeschnitten. Ob wir’s uns dann ansehen wollten? Ja sicher, Videomann, was stehst Du noch am Telefon? Komm her damit.

Tja, und das was er "dann am Wochendende eben so zusammenprobiert hatte" fanden wir dann so gut, das wir beschlossen haben, da nichts mehr an weiterem Material reinzuschneiden. Das wäre schade drum.

Irgendwie fanden wir das auch so gut. Wenn wir das was reinschneiden, dann muss ja aus dem bisherigen was raus. Ja, neh. Dann lassen.

Komm. Super. Videomann. Sehr gut gemacht.

Und darum haben wir jetzt eine Video.

So.


Gruß,
groby
*



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