Re: (Philosophie) Bandleading


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Beitrag von Kurt vom Juni 26. 2006 um 12:49:28:

Als Antwort zu: (Philosophie) Bandleading geschrieben von Woody am Juni 25. 2006 um 21:10:59:

Hi Woody,

ich bin selber auch Amateur-Jazzer, spiele in einer Combo mit und bin da sicher nicht Bandleader,
sondern eher "Bandstreber", ein Spitzname, den mir die Mitmusiker gegeben haben. D.h. ich
sorge für die Verteilung von Noten, Setlist-Aktualisierung, etc. Vorschläge für neue Stücke
kommen meistens auch von mir. Komponieren tut in unserer Band keiner, wir spielen aber nicht nur
Realbook-Standards sondern auch woanders "geklautes".
Ansonsten wird die Band "demokratisch" geführt, aber mehr nach dem Prinzip der Europäischen Union:
Abstimmung und Überstimmung gibt es kaum, es muß schon Konsens und meistens Einstimmigkeit vorhanden
sein, sonst kriegt der Überstimmte den Frust und schmeißt hin. Als Kompromiß ist vielleicht
vorstellbar, daß man ein oder zwei Stücke (mit-)spielt, die einem nicht gefallen, aber ständig
überstimmt zu werden, ist nicht drin.

Es gibt bei uns also keinen Bandleader, was - und da pflichte ich Michael J. bei - gut ist. Es
ist aber auch mühsam, vorwärts zu kommen und Entscheidungen zu treffen. Sei es, sich mal von
einem Bandmitglied zu trennen, oder auch um festzulegen, was anders klingen soll, wer bei einem
Stück mal pausieren soll usw.
Manchmal wäre es gut, einen Chef zu haben.

Ich "kenne" (weiß von) mehrere professionelle Jazzbands, die sind bezüglich Bandleader alle so aufgestellt:

1. Der Bandleader ist der organisatorische Chef der Band:
- er sucht die Mitmusiker aus bzw. entscheidet, wer (weiter) mitspielt und wer nicht (mehr)
- er organisiert die Termine: Proben, Studio, Gigs

2. Er ist der musikalische Kopf der Band:
- er legt fest, welche Stücke gespielt werden
- er bringt die meisten Eigenkompositionen ein, mehr als jeder Mitmusiker und i.d.R. mehr als alle anderen
zusammen
- er bestimmt den Sound, wer bei einem Stück mal aussetzt, wer wann Solo spielt etc.
- kann sein: er spielt die meisten Soli/Themen, steht also auch im Vordergrund
- er muß dabei nicht der beste Musiker oder Komponist von allen sein!! Ich kenne Jazzbands, da ist der
Bandleader der schlechteste Musiker der gesamten Band - aber er kann halt organisieren oder hat den
Namen, den die Band braucht. Die Mitmusiker müssen sich dann unterordnen, was ihnen, selbst wenn sie
Profis, sind nicht immer leicht fällt. Leichter gelingt die Unterordnung mit der Zahlung guter Gage.

Das ist für mich ein (professioneller!) Bandleader. Nicht mehr und nicht weniger.

Wie "demokratisch", fair respektvoll und mit welch gutem Ton der Bandleader das macht, hängt von ihm/ihr als
Mensch ab.
Ich weiß von Bandleadern, die ihre Mitmusiker wie Angestellte behandeln, ihnen je Konzert eine gute Fixgage bezahlen,
egal, wie hoch die Einnahmen waren, ihnen Null-Kündigungsfrist einräumen (wer aufmuckt fliegt von heute auf morgen
raus und ist am nächsten Tag bereits ersetzt) und ihnen zumuten, unter Wert zu spielen, d.h. sie dürfen nicht
alles zeigen/geben (z.B. mit einem langen Solo) was sie drauf haben. Die Musiker fühlen sich bisweilen wie
Prostituierte. Aber die Gage ist gut, die Gigs sind häufig. Das zählt.

Ich kenne auch Bandleader, die fungieren im Grunde genauso wie oben beschrieben, nur eben "demokratisch", d.h. sie
beziehen ihre Mitmusiker
mehr in die Entscheidungen ein, geben ihnen mehr Freiräume,
jeder kriegt die gleiche Gage - inklusive ihnen selbst, obwohl sie die
meiste Arbeit haben! Klingt schon besser, oder? Und das gibts auch!

Als Amateur kannst Du als Bandleader auf Dauer nur genauso überzeugen, mit Kompetenz nämlich. Da es weniger
Gage geben dürfte, ist die menschliche/soziale Kompetenz die Grundvoraussetzung. Dazu braucht es unbedingt
noch eine weitere Fähigkeit, die dich vor den anderen auszeichnet, sei es organisatorisch und/oder musikalisch,
(am besten beides), sonst bist du nicht glaubwürdig.
Je kompetenter Du bist, desto mehr "darfst" du.

Gruß
Kurt


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