Re: Radiohead


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Beitrag von Pepe vom Oktober 19. 2000 um 22:07:11:

Als Antwort zu: Re: Radiohead geschrieben von Tom(2) am Oktober 13. 2000 um 11:03:41:

Habbich beim Durchforsten der vorletzten ZEIT gefunden:

"Doppelkopf
In dünner Luft mit Radiohead

Für eine Band, die ursprünglich um ein paar Lagerfeureakkorde herumgebaut war, haben es Radiohead weit gebracht. Ernsthaftrocker, Senkrechtstarter, große Experimentatoren an der Granze zwischen Song und Track, so steht es im Stammbuch. Und trotzdem sind sie Millionenseller, von den Medien als hoch sensible Popstarmaterie gehandelt - was will man mehr?

Schleunigst wieder verschwinden vielleicht. "How To Dissappear Completely" heißt einer der Schlüsseltitel auf dem mit großen Vorab-Hallo erwarteten Album Kid A (EMI), der Einzige, der den alten Hymnenton wieder aufnimmt. Für den Rest der zehn Stücke sind Radiohead das Risiko eingegangen, die Soundmarken zu löschen und sich ins Unwegsame vorzuwagen: Klanglandschaften, wie die elektronische Musik sie in den vergangenen Jahren aufgeworfen hat, avantgardemetallicfarben, mehr Fläche als Kontur, vom Sampler schraffiert, menschenleer und eisig, eine Welt ohne Refrains und so genannte Ohrwürmer, die die Gruppe vom Druck des Mainstream erlösen soll.

Ganz ohne Reverenzen an Vertrautes geht es trotzdem nicht. Weil die Luft dünn ist an der Spitze, haben Sänger Thom Yorke und Kollegen ein Instrument namens Ondes Martinot ausgegraben, neben Trautonium und Theremin eine jener Pionierkisten der elektronischen Revolution, die in warmen, analogen Tönen den Sound der Avantgarde der dreißiger Jahre zitieren, oder sagen wir besser: heraufbeschwören. Radiohead klingen nämlich immer auch ein wenig so, wie Kunsthochschüler sich Avantgarde vorstellen, als hätte Schönberg ein Rundfunk-Jingle komponiert oder Olivier Messiaen sich an ein Rhythmusgerät angeschlossen. Der Unterschied: Die formalen Mittel gehorchen keiner streng künstlerischen Logik, sie sind mehr Geschmacksklangfarbe, die filigran eingesetzt, aber auch stolz vorgeführt wird.

Radiohead bleiben bei allem Willen zur Kunst eben doch Popstrategen, sie stehen in der Tradition von Artschool-Elektronikern wie Pink Floyd, die, als das Progressive noch neu war, Experimentelles publikumswirksam aufmischten und auslegten - wobei das Ergebnis ähnlich doppelköpfig ausfällt. Wenn die Band ihrem Namen gerecht wird und die Frequenzen sich kreuzen wie Signale aus einem utopischen Radio, versöhnt Kid A das Klangtüftlererbe mit den Geboten eines neuartigen, gebrochenen Pop. Wenn Yorke die Ästhetik des Verschwindens zelebriert, sich in Genie-Pose wirft und mit dünner Stimme so spätnietzscheanisch-prätentios dahersingt, als habe er bei seinem Gang durchs Soundgebirge gerade die psychedelischen Drogen neu erfunden, möchte man das Werk auch ohne weiteres in der Pfeife rauchen."

Aha ... ich liebe den Feuilleton! (Spätnietzscheanisch-prätentios - muß ich mir merken)

NP: Blur, The Great Escape


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