Schönes Thema !


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Beitrag von Harvey vom September 08. 2000 um 16:41:51:

Als Antwort zu: (Meinung) Wie mir Slash den Jazz beibrachte (nicht nur für Jazzer) geschrieben von Matthias am September 08. 2000 um 13:10:11:

Technik vs. oder con Gefühl. Das Problem oder Nicht-Problem, exakt das zu spielen, was ich innerlich höre oder fühle, habe ich in der Regel nur bei improvisierten Soli, wo also nichts reproduziert wird (mehr oder minder perfekt), sondern sozusagen völlig neu "erschaffen".

Der "organische" Weg beim Spielen ist für mich der von innen nach außen, d.h. ich höre oder spüre innerlich etwas, was die Finger dann umsetzen (sollten). Im Moment des Spielens bin ich dann "zufrieden", wenn das in einem völlig intuitiven Fluß geschieht, daß also "innen " und "außen" identisch sind - ich spiele dann exakt das, was ich in dem Moment spielen will. Das spielt sich natürlich in Sekundenbruchteilen ab, keine Chance zum Nachdenken, sonst ist der Fluß weg - dazu gehört dann aber schon auch eine Menge an mechanischem Automatismus, d.h. die Finger müssen "ohne mich im Oberbewußtsein" schon selbst wissen, wohin sie sich plazieren müssen, sozusagen aus ihrem eigenen Bewußtsein heraus, d.h. man muß viel geübt oder gespielt haben, damit das ohne Verzögerung und Verfälschung abläuft. Je komplizierter die harmonischen Verbindungen und je höher das Tempo, desto größer die Arbeit ... (aus mir wird in diesem Leben kein Jazzer mehr).

Umgekehrt geht´s aber auch, sozusagen von außen nach innen - d.h. die Finger bewegen sich, und dabei "fühle" ich mich in das ein, was die Hände vielleicht anfangs noch ohne direkte Verbindung zum "Innen" abspulen - gängige Patterns, Skalen etc. Das kann klappen oder auch nicht, es kann also ein relativ gefühlloser, mechanischer, sozusagen autonomer "Leerlauf" sein, oder es kann sich eine Art innerer Beteiligung dabei "aufbauen" - analog zum ersten Beispiel müßte ich sagen: "Ich will bzw. mag das, was ich gerade spiele (bzw. was meine Hände da veranstalten)".

Der Witz ist, daß anderen Leuten u.U. gefällt, was ich spiele, während ich mich selbst beim Spielen gar nicht so toll finde (jaja, umgekehrt geht natürlich auch, ihr Lästermäuler, haha!): Ich war nicht zufrieden, weil ich nicht das gespielt hatte, was ich in dem Moment wollte, sondern was die Finger zuließen oder unperfekt umgesetzt hatten - aber den Zuhörern fehlt eben diese innere Diskrepanz zwischen "Anspruch" bzw. innerem Ohr und Verwirklichung, weil sie ja nur die tatsächlich gespielten Töne hören, nicht das, was ich genialerweise von mir hätte hören lassen können oder wollen.

Das ging mir auch oft mit Studio-Aufnahmen so - ich höre meine Gespiele und bin alles andere als begeistert, weil ich es nicht so hingekriegt hatte, wie ich wollte - und dann lasse ich es so, wie es ist, gewöhne mich daran und finde es dann sogar gut ... sehr seltsam, eigentlich fast so, als ob jemand anders da gespielt hätte (bin nicht schizo !).

Bei Aufnahmen, wo es um Gitarrensoli geht, lege ich auch oft die Gitarre erst mal weg und summe innerlich bzw. "lasse summen" - ich bin ein schauderhafter Sänger, aber die Melodien kommen dann ganz automatisch, organisch, natürlich, dann geht es nur noch darum, diese "Gesangsqualität" mit der Gitarre hinzukriegen. Das klappt gut mit sehr "melodiösen", nicht zu schnellen Soli - ich würde allerdings nicht so weit gehen zu sagen, daß man nur spielen im eigentlichen Sinn nur kann oder sollte, was man auch singen kann - die Gitarre läßt ja dermaßen viele Sounds bzw. Geräusche zu, die man stimmlich kaum imitieren kann bzw. die sich zum Singen überhaupt nicht eignen würden.

Zu der Bemerkung Carlos Santana vs. Petrucci: Das Problem scheint irgendwie uralt zu sein - es gab schon immer Gitarristen (bei den Rockern jedenfalls), die primär "mit Gefühl" und dabei nicht unbedingt technisch brillant spielen (jedenfalls wenn man technisch mit ultraschnell verwechselt) und technische Virtuosen, die eher "kalt" klingen. Ich kann mich noch an Platten mit Carlos im Duett mit John McLaughlin erinnern, wo ich immer froh war, wenn ich nach dem "Skalengenudel" des letzteren wieder eine Melodie hörte ... Wobei man jetzt wieder endlos reden könnte über verschiedene Arten von Gefühl und Emotion - d.h. was für den einen "gefühlvoll" ist, klingt für den nächsten schon unerträglich "schmalzig" usw. usw. - dem einen oder anderen Musiker jetzt eine emotionale Qualität in seinem Spiel zu- oder abzusprechen, ist ja immer ein völlig subjektives Urteil.

Zum Glück gibt es ja auch welche, wo beides zusammenkommt, jedenfalls IMHO.




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