Re: Schlechtschreibreform


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Beitrag von Tom(2) vom August 11. 2004 um 10:31:53:

Als Antwort zu: Re: Schlechtschreibreform geschrieben von ferdi am August 10. 2004 um 19:07:00:

Hi Ferdi

Die Kids sind nicht mehr so, wie wir damals waren. Gescheiterte Patchwork-Familien-Entwürfe, Wohlstandsverwahrlosung, Hyperaktivität, Bewegungsmangel, Overkill mit neuen Medien.

"Uns" gab es damals genausowenig als homogenen Gruppe wie heute.
"Wir" hatten kein Internet. Computer fingen gerade so eben an (und auf einmal waren nicht nur die Fußballer, sondern auch die Nerds mit den C64s in die Coolnesskaste aufgestiegen).
Freigeistige Kinderladenkinder saßen neben den Kindern aus spiessigen Arbeiter- und kleine Angestelltenfamilien, wobei diese "Familien" alles andere als funktional waren - saufende Väter, prügelnde Eltern, Schüler mit massivem Alkoholproblem, das gab es alles in meinen Klassen. Wir hatten Lehrer, die unterschiedlicher nicht sein konnten, vom Ultra-autoritären Altsack, der am liebsten die Stockstrafe und den Karzer wieder eingeführt hätte ("wenn die Kommunisten, die uns die Amis eingestzt haben, erstmal wieder verschwunden sind..."), bishin zum vollbärtigen Hippie, der seine freie-Liebe Ideale in der Sexualkunde (wurde bei uns zur zweiten Klasse eingeführt), zum Besten gab, jegliche Benotung ablehnte, und bei dem wir immer erstmal das gesamte Klassenzimmer zur gruppendynamischen Begegnungsstätte umbauen mussten. Natürlich wurde in der nächsten Stunde, die von einem eher konventionellen Lehrer geleitet wurde, alles wieder umgebaut. Und wieder, und wieder...

In der achten und neunten Klasse hatte ich z.b. ACHT verschiedene Französisch-Lehrer, von denen jeder einen anderen Ansatz verfolgte - mit dem Resultat, daß ich bis heute keinen einzigen vernünftigen Satz auf Französisch zusammen bekomme, obwohl ich es ja laut Lehrplan in ausreichender Menge als zweite Fremdsprache am Gymnasium erlernt habe.

Ich könnte jetzt auch noch erzählen, daß ein Großteil der mir zustehenden Lernzeit aus Lehrermangel schlichtweg wegfiel (Musikuntericht gab es bei uns nur im halbjährlichen Wechsel mit Kunstuntericht), und daß ein anderer Großteil von hoffnungslos überforderten Referendaren abgehalten wurde, die, da uns eh klar war, daß sie nach einem halben Jahr schon wieder verschwunden sind, überhaupt keinen Fuß auf den Boden bekamen.

Irgendwann war "meine" Klasse (b) sogar als die assozialste von allen eingestuft worden, nicht zuletzt auch deshalb weil wir als Auffangbecken dienten für alle, die den höheren Standards der anderen Klassen nicht entsprachen, und wir einen enorm hohen Anteil von Spät- und Quereinsteigern aus der Förderstufen und den Realschulen hatten, die teilweise von der "Pace" am Gymnasium total überfordert waren. Was sie nicht davon abhielt, ihr Revier durch körperliche Stärke und entsprechende Coolness-Artefakte wie die damals unverzichtbare 80er Enduro in weiss mit roter Sitzbank zu markieren.



: Nicht mit 33 Kindern in einer Klasse.

auf "meinem" Gymnasium waren wir konstant mehr als 30 Schüler in der Klasse, in allen Klassen a/b/c/d., bis weit in die Oberstufe hinein.
Trotzdem hat es bei den meisten geklappt, auch mit der "alten" Rechtschreibung.

BTW: "Meine" Generation ist damals in der Grundschule in den "Genuss" der Mengenlehre gekommen, die dann auch wieder recht schnell vom Lehrplan verschwand, mit der Folge, dass ich bis weit in die sechste Klasse hinein Schwierigkeiten mit Dreisatz und Grundrechenarten hatte. Dafür kann ich aber heute noch super von Schnittmengen und "in der Menge aller Elemente ausser..." dozieren...

.. aber, back on Topic, tatsächlich habe ich mein "Schriftdeutsch" nicht nur in der Schule, da sogar am wenigsten, sondern durch Lesen und selbst schreiben, Briefe und Geschichten, erlernt. Und Diktate in der Schule à la "Der gleisnerische Messmer..." haben mir eher den Zugang verbaut. Trotzdem, niemand wäre auf die Idee gekommen, daß die Rechtschreibung zu unlogisch oder zu schwierig wäre... im Gegentum, das Beherrschen eben dieser schwierigen (Kommata)regeln war/ist ein Qualitätszeichen, WOZU GEHT MAN DENN SONST IN DIE SCHULE?

niemandem sind die Verhältnisse in den Schulen so bewusst wie denen, die dort arbeiten. BildungsPOLITIK wird aber an ganz anderer Stelle gemacht.

Wieviel Schüler, Studenten- und Lehrervertreter gibt es denn in der Entscheidungskommission zur Rechtschreibung? Einen? Keinen?

Ich sehe es wie Du, es werden die falschen Entscheidungen an den falschen Stellen getroffen.


Grusz
Tom




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