Re: (Philosophie) Selbstzweifel


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Beitrag von ferdi vom Dezember 03. 2003 um 22:08:44:

Als Antwort zu: (Philosophie) Selbstzweifel geschrieben von Matthias am Dezember 03. 2003 um 19:21:24:

Lieber Matthias!

Heute reichlich Senf von meiner Seite.

Als Gitarrist mit Geschmack misst man sich oft an dem, was einem am besten gefällt - gitarristisch gesehen. Oft sind das Vollprofis.

Der Vergleich ist unfair, weil er unberücksichtigt lässt, wie gut wir Hobbygitarristen wären, wenn wir ebensolviel Zeit in unser Spiel investiert hätten und weiterhin täten. Talent ist nicht alles - bestimmt 75% des Könnens sind mMn von Trans-, nicht Inspiration bestimmt.

Der Vergleich mit Profis ist nagend und kann zermürbend sein. Auch weil es oft so ist, dass man seine Ideale immer höher schraubt, je nach bereits erreichtem Ziel - um sein Gitarrenspiel weiterhin mit Perspektive und damit auch mit Sinn zu versorgen.

Man wird nie so gut spielen, wie man spielen will (das, übrigens, ging/geht SRV, Hendrix, Jeff Beck, Clapton, Green nicht anders, was aber auch nicht tröstet, sondern zur Verzweiflung beiträgt).

Soviel zum absoluten Maßstab.

Was andere Hobbymusiker als Bezugsgröße angeht, möchte ich von mir ausgehen, weil ich zu deinem Spiel nichts sagen kann - die zwei mp3s mal ausgenommen (die mir gut gefallen haben!).

Zunächst: kochen die anderen mit was anderem als Wasser?

Zugegeben, manche kochen besser.

Manche auch heißer oder öfter.

Der Bassist meiner Ex-Band beispielsweise (wir sahen uns gestern wieder auf einen Jam, deshalb komm' ich drauf) war mir zu Bandzeiten technisch immer voraus - in meiner Wahrnehmung wenigstens. Er beherrschte sein Instrument besser als ich meins.

War ich ihm "gut genug"?

Was ist "gut genug"?

Oder der andere Gitarrist der Band - er hat nie das Temp nach vorne gezogen. Ich aber spiele jeden uptempo Shuffle wie Sau nach vorne. Er wusste immer, die wievielte Strophe das gerade war. Ich nicht.

Ist "gut genug" gleich gut?

Wieviel weniger als man selbst darf ein Mitmusiker drauf haben, um noch "gut genug" zu sein?

Oder sind Mitmusiker dann "gut genug", wenn sie mehr drauf haben als man selbst?

Oder müssen sie gar "so gut" sein, dass man selber nur noch als Wunderkerze oben drauf gesteckt werden muss und die Welt wird schön?

"Gut genug" hängt mMn von vielen Faktoren ab, die sich auf Auditions/Jams/Sessions nicht zeigen. Zuverlässigkleit, Vorbereitung, Ausdauer zum Beispiel sind Qualitäten, die sich erst bei der Bandarbeit zeigen. Fehlen die, sind die dollen kreativen Ergüsse des Jams kein Trost. So gesehen zeigt sich "gut genug" erst, wenn man sich bereits zur Zusammenarbeit entschieden hat, und oft trennen sich die Wege ja wieder, auch weil sich Mitmusiker, die eindeutig "gut genug" waren, als zickige Primadonnen entpuppen.

"Gut genug" wird weiterhin maßgeblich von den subjektiven Vorlieben bezüglich der Musikrichtung beeinflusst. Ein versierter Country Picker wird im Doom Metal Umfeld nicht gut genug sein, wobei der Umkehrschluss zulässig ist. Man muss wissen, wo man hingehört. Ich habe außerhalb der Grenzen eines mittelweiten Bluesrock-Begriffs zB nichts zu bieten, niente, nada, rien.

Fazit: du hast Selbstzweifel. Das ist normal. Das zeigt, dass du kein selbstzufriedenes, arrogantes Arschloch bist.

Das zeigt aber auch, dass du unsicher bist, wie dein Spiel aufgenommen wurde. Diese Unsicherheit liegt bestimmt maßgeblich in der Tatsache begründet, dass ein Feedback fehlt. Oft checken Bands viele Leute an, wollen bis in zwölf Wochen noch alle Türen offen, alle Fäden in der Hand halten, niemandem absagen, bis nun wirklich gar keiner mehr auf die Anzeige antwortet.

Wir haben das diesmal ganz anders gemacht. Wir wussten, wir machen jeder zwischen 15 und 30 Jahren Musik, das sollte für die Basics reichen. Wir haben uns ein paar Mal getroffen, um gegenseitige Sympathie als tragfähiges Fundament sicherzustellen. Nachdem wir uns zur Zusammenarbeit entschlossen haben haben wir das erste Mal zusammen gejammt. Zugegeben, der Gesang fehlt immer noch, aber ansonsten sind glaub' ich alle zufrieden und können das auch sein.

Matthias, bevor sich die vierte Bildschirmfüllung füllt, breche ich jetzt gleich ab. Ich hätte aber noch Lust. Weil mir das Thema sehr nahe ist. Im Vergleich zu den (einschlägig bekannten) Vorbildern werde ich an der Gitarre immer schlecht sein. Ich habe nicht nur bei Equipmentfragen sehr festgefahrene Vortsellungen! Ich bin immer überrascht, wenn jemand mich Bluesrock-Purist oder so nennt, weil mir dann jedesmal erstaunt auffällt, dass es ja noch andere Musik gibt, die man machen könnte, die mich aber nie nie nie auch nur ein bisschen interessieren könnte. Da muss ich mit klarkommen... Mittlerweile höre ich diese Musik aus Verfolgungswahn schon gar nicht mehr, ich sammle sie nur noch.

Es gibt aber Tage, Minuten, Stücke, Proben, Sekunden, Konzerte, Aufnahmen, da ist man richtig gut. Die entschädigen für alles. Dann gibt es im Universum vor allem dich und deine Gitarre, und alles Andere ist weit weniger wichtig. Das gibt es auch bei dir. Und das kommt auch wieder. Dein Posting las sich so, als ob du etwas Trost gebrauchen könntest. Brauche ich auch manchmal. Ich möchte dich ganz aufrichtig trösten, weil mir die Auseinander/Zusammensetzung mit dir hier im Forum so gut gefällt, dass ich gerne mal mit dir Musik machen möchte.

Wenn die Audition sehr geil war, was dann noch? Wenn du wirklich ein armes Licht an der Gitarre wärst, hättest du die Geilheit bestimmt irgendwie gestört, meinst du nicht? Bevor die zwei Bildschirmfüllungen oben wieder lösche, schicke ich das hier jetzt ab.

Viele Grüße, ferdi


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