Re: (Session) Session Termin: Alles klaro! k.T.


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Beitrag von ferdi vom November 13. 2003 um 06:40:02:

Als Antwort zu: (Session) Session Termin geschrieben von Guido am November 11. 2003 um 19:47:11:

Der Hundertjährige Krieg als prägendes Element für Nationalgefühl und Patriotismus in Frankreich

Das Phänomen der patriotischen Prophetin Jeanne d´Arc im frühen 15. Jahrhundert und ihr Wirken kann ohne Wissen um die Wirren des mehr als "Hundertjährigen Krieges"(1339-1453), in dessen Verlauf die Engländer zeitweilig große Teile Frankreichs besetzt hielten und wiederholt Anspruch auf den französischen Thron erhoben, nicht in seiner Gänze verstanden werden. Insbesondere ist es notwendig, den Enstehungsprozeß und Verlauf des Hundertjährigen Krieges bis zur Enterbung des legitimen Kronerben Karl dem VII., des Schlüsselereignisses der Auslösung der Mission Jeanne d´Arcs, zu erklären, um ihr enthusiastisches Eintreten für den rechtmäßigen Thronfolger nachvollziehen zu können. Darüber hinaus erleichtert uns dieser geschichtliche Rückblick das Verständnis für die große Sehnsucht des Volkes nach Frieden und Einheit des Reiches unter der Herrschaft des rechtmäßigen Königs von Frankreich.
Als 1328 der König von Frankreich, Karl IV., kinderlos starb, erhob Eduard III. von England, Enkel mütterlicherseits Philipps des IV. von Frankreich, Anspruch auf die französische Krone. Da in Frankreich die mütterliche Erbfolge nicht galt, lehnten die Generalstände die Erbforderung ab und einigten sich stattdessen auf Philipp VI. von Valois, Neffe Philipps des IV.. Folge war der mehr als "Hundertjährige Krieg" (1339-1453). Eduard III. von England landete schließlich im Jahre 1346 mit 1000 Schiffen, einer Streitmacht unglaublichen Ausmaßes, in der Normandie. Neben seinem Interesse am französischen Thron trug gewiß auch der Ruf Westfrankreichs, ein reiches (Beute-) Land zu sein, zu dieser Entscheidung bei. Jedoch gelang es später, während seiner Amtszeit Karls des V. von Frankreich (1364-1380), fast alle besetzten Gebiete zurückzuerobern. Dennoch gelang es nicht, die Engländer vollständig aus dem Land zu vertreiben. Zu dieser Belastung Frankreichs kamen bald noch die innenpolitischen Spannungen, die durch die Machtkämpfe der rivalisierenden Adelsfamilien von Burgund und Orleans entstanden. Seit im Jahre 1363 der französische König Johann II. seinem Sohn Philipp das Herzogtum Burgund übergeben hatte und dieser aufgrund seiner Ehe mit Margarethe von Maele, Erbtochter von Flandern, schließlich 1386 die flandrische Erbschaft antrat, hatte sich der burgundische Machtbereich entscheidend vergrößert. Nach dem Tod Karls des V. im Jahre 1380 gelang es Philipp, der seit seiner erfolgreichen Niederschlagung der flandrischen Aufstände den Beinamen "der Kühne" trug, aufgrund der Minderjährigkeit des rechtmäßigen Erben Karls des VI. als dessen Onkel die Regentschaft und damit de facto die Regierungsgewalt zu übernehmen. Dies dauerte an, bis Karl VI. im Jahre 1388 seine Mündigkeit erklärte. Aufgrund eines Wahnsinnsanfalls Karls (Karl VI. trug bald aufgrund seiner geistigen Schwäche und Verwirrtheit den Beinamen "der Wahnsinnige") hatte Philipp jedoch schon 1392 einen neuen Vorwand, um die Macht an sich zu reißen. Während dieser Zeit kam es zum innenpolitischen Kampf um Macht und Einfluß zwischen Philipp und Ludwig von Orleans, dem Bruder Karls des VI. Ludwig erhob ebenfalls Anspruch auf die Regentschaft und hatte sich der Unterstützung Isabeaus von Bayer versichert. Die beiden sollen sogar eine Affäre gehabt haben. Nachdem Philipp im Jahre 1404 gestorben war, übernahm dessen Nachfolger Johann Ohnefurcht seinen Platz als Herzog von Burgund und ließ Ludwig von Orleans 1407 durch einen Attentäter ermorden. Der Sohn Ludwigs, Karl von Orleans (1349-1465) heiratete die Tochter des mächtigsten Feudalherren der Gascogne, Bernhard von Armanac. Dieser verfügte über eine außergewöhnlich große Streitmacht und schloß 1410 ein Abkommen mit den Prinzen von Geblüt (Bourbon, Berry, Anjou, Albret), der Königin Isabeau von Bayern und mit Ludwig von Guyenne. Die durch den Anschlag auf Ludwig von Orleans ausgelösten Kampfhandlungen mündeten 1411 in den offenen Bürgerkrieg zwischen Burgund und Orleans, in dem die Burgunder den von nun an nach Bernhard benannten "Armanacs" gegenüberstanden. Im Jahre 1415 kam es dann zum (innenpolitischen) Friedensvertrag von Arras, dessen Bedingungen den Verzicht Burgunds auf Paris vorsahen, sodaß nur noch Burgund und Flandern unter Johanns Herrschaft blieben. Im gleichen Jahr gelang den Engländern unter Ausnützung der inneren Abgelenktheit Frankreichs die Eroberung fast der gesamten Normandie, ausgehend von der Schlacht von Azincourt, bei der das Heer der französischen Ritter vernichtend geschlagen wurde. 1416 schloß Johann von Burgund offiziell ein Bündnis mit England (!), dem sich Isabeau von Bayern 1417 anschloß. Nachdem die Armee Johanns von Burgund die Hauptstadt Paris eingenommen hatte und Bernhard de Armanac 1418 bei Kampfhandlungen starb, war die Kampfmoral der Orleanisten arg geschwächt. Dazu kam noch, daß es den Engländern 1419 gelang, die Ile de France zu erobern, auf der sich im einer Abtei des Klosters St. Denis die Insignien des Königs und der Krönungsschatz befanden. Da das Kloster den Namen des Schutzpatrons des Königs trug, verbreitete sich nach seiner Eroberung unter den Franzosen die Auffassung, Gott stehe Frankreich nicht mehr bei. Nachdem Johann von Burgund 1419 einem Anschlag zum Opfer fiel, der die Unversöhnlichkeit der beiden Adelsfamilien auf die Spitze trieb, fiel das Reich endgültig in eine tiefe Krise. Dazu kam noch ein formaljuristisches Problem königlicher Erbfolge mit internationalem Charakter: König Karl VI., der seit längerem in geistiger Umnachtung lebte und vom Wahnsinn geprägt war, lebte durch seine Ehe mit der intriganten Isabeau von Bayern gänzlich unter dem Einfluß Burgunds. Durch ihre Machenschaften kam es 1420 zur Unterzeichnung eines Abkommens zwischen Karl VI., Heinrich V. von England und Philipp dem Guten von Burgund, zum sogenannten "Vertrag von Troyes". Gemäß dieses Vertrages sollte Heinrich von nun an den Titel "König von England, Erbe und Regent des Königreiches Frankreich (!) und Herr von Irland" tragen. Hierzu war es notwendig, daß Heinrich zunächst mit der Tochter Karls des VI. verheiratet wurde und Karl anschließend seinen einzigen Sohn enterbte, sodaß Frankreich keinen rechtmäßigen, d. h. männlichen Erben mehr hatte. Isabeau erreichte beides. Die rechtmäßigen Ansprüche des Sohnes Karl von Valois, genannt der Dauphin, sollten durch den Vertrag aufgehoben werden. Indem Karl VI. verkünden ließ, in Ermangelung eines männlichen Erben müsse die Krone Frankreichs nun durch seine Tochter an deren Gatten, Heinrich V. von England, weitergereicht werden, nahm er sich das Recht heraus, einen Nachfolger seiner Wahl zu designieren, was eine Verletzung der im Krönungseid beschworenen Pflicht der Wahrung des Erbrechts darstellte. Dieses war geregelt durch das alte "Salische Gesetz", das den Ausschluß von Frauen aus der Erbfolge verlangte. Die Enterbung Karls von Valois wurde von zeitgenössischen Advocaten des Königs als unrechtmäßig verurteilt, er wurde jedoch aufgrund seiner Geisteskrankheit entschuldigt. Während dieser Zeit verstärkte sich der Widerstand im Volk, das von Haß auf die Engländer und Friedenssehnsucht erfaßt wurde. Träger des antienglischen Widerstandes war neben dem Stadtbürgertum (mehrere Städte hielten aufgrund von Beistandsabkommen lange Zeit der englischen Belagerung stand, so z.B. Calais 1347, Reims 1358 und Rouen 1448) der niedere Adel Frankreichs, für den eine Verletzung des geltenden königlichen Erbrechts nicht hinnehmbar war. Mangelnde Koordination und Kooperation verhinderten jedoch überregionale Erfolge. Als 1422 sowohl Karl der VI. wie auch Heinrich V. starben, riefen die Engländer den noch nicht einjährigen Heinrich VI., vertreten durch den Herzog von Bedford als Regenten, zum König aus. Die meisten der französischen Fürsten sprachen sich für Karl von Valois aus, den rechtmäßigen Thronfolger, der sogar in Poitiers gekrönt wurde und von nun an Karl VII. hieß. Keinem der Könige kam jedoch konstitutive Relevanz zu, da beiden das wichtigste Zeichen der Krönung, die Salbung mit dem Öl der "Sainte Ampoule" in der Kathedrale in Reims , dem Zeichen der besonderen Gnade des heiligen Geistes, fehlte. Für die französischen Fürsten blieb entscheidend, daß die Krone Frankreichs nicht durch weibliche Vererbung weitergereicht werden konnte, weder durch Ehefrau noch durch Tochter. So gab es nebeneinander zwei ungeweihte Könige: Einmal Heinrich VI. von England, vom Herzog von Bedford als Regenten vertreten. Dieser kontrollierte die Normandie und einen Teil der Guyenne (die verbündeten Burgunder beherrschten Paris und den Norden mit Ausnahme der Bretagne). Karl VII dagegen blieben das Languedoc im Süden, die Dauphiné im Südosten sowie einige Gebiete im Westen als Herrschaftsgebiet. Obwohl er zunehmend Unterstützung im Ausland gewann ( z.B. Schottland, Kastilien, Mailand) und auch von den südlichen Städten Toulouse, Lyon und La Rouchelle unterstützt wurde, war er der ihm gegenüberstehenden Koalition von Engländern und Burgundern militärisch schlichtweg nicht gewachsen. 1423 unterlag er bei Crachant, 1424 bei Verneuil. Die letzte Festung in der Normandie, die den Engländern noch Widerstand leistete, trug den Namen des Hl. Michael (Mont Saint-Michel). Dieser war der gewählte Schutzheilige Karls. Der Hl. Michael war auch auf den Bannern der Truppen Karls gegen einen die Mächte der Hölle (= Engländer !?) symbolisierenden Drachen kämpfend dargestellt. Die Festung war deshalb aufgrund ihres Namens Symbol des Widerstandes. Als 1425 der englische Graf von Suffolk die Belagerung der Festung abbrechen mußte, verbreitete sich diese Nachricht im ganzen Land, und der religiös motivierte, patriotische Enthusiasmus der Orleanisten erreichte einen Höhepunkt, sodaß das Scheitern dieser englischen Belagerung mit einer Intervention Gottes gleichgesetzt wurde . 1428 schließlich wurde Orleans, letztes Bollwerk Karls des VII. gegen den Einbruch der Engländer in den Süden des Landes, belagert. Diese Lage kann als der bisherige Gipfel der innen- und außenpolitische Anspannung gesehen werden, da der Fall Orleans wiederum als Gottesurteil gegen Karl ausgelegt worden wäre. In dieser Situation war der Freiheitswille der Franzosen noch instinktiv-emotionaler Natur. Es gab noch keine Bewegung gegen die Koalition der Engländer und Burgunder von nationalem Ausmaß. In dieser Situation schaffte es Jeanne d´Arc, als charismatische Integrationsfigur dynastisch-monarchische Loyalität, Patriotismus und den Wunsch nach Frieden in einer landesweiten, Karl unterstützenden Bewegung, die an politisches wie religiöses Bewußtsein gleichermaßen appellierte, zu vereinigen Da ihr Erscheinen als göttlicher Fingerzeig auf die Legitimität des Thronfolgers gedeutet wurde, räumte sie die letzten Zweifel am rechtmäßigen Anspruch Karls aus. Die ihr zugeschriebenen übernatürlichen Kräfte stärkten die Siegesgewißheit seiner Anhänger.



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