Re: "Die neue Metallica" - Je scheisser der Sound, desto streeter die credibility.


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Beitrag von Martin Abend vom Juni 14. 2003 um 20:28:49:

Als Antwort zu: Re: geschrieben von sascha am Juni 14. 2003 um 18:07:59:

Also, Metallica gehen mir völlig am Arsch vorbei. Was ich jedoch nicht verstehe, aber viel interessanter finde, ist, dass vor allem in der Metal-Szene so fragwürdige Dinge wie "Authentizität" tatsächlich noch diskutiert werden, und dass sogar mit einigem Ernst, Warum fragt sich eigentlich keiner, ob die neue Cardigans "authentisch" ist? Was soll das heissen?

Ich vermute folgendes: Viele Fans glauben, die von ihnen favorisierte Musik sei "ursprünglich", "aus dem Bauch heraus" und vor allem: frei von kommerziellen Absichten. Ich denke, das ist völliger Unsinn. Nicht nur, dass die Meinungen zu einem Album/zu bestimmten Musikern medial vermittelt ist und ich sowieso nicht nachvollziehen kann, ob X nur uffe Kohle aus ist oder den langwierigen Arschkrebstot seiner Lieblingsorchidee beweint - Das Authentizitäts-Argument ist in kapitalistischen Zusammenhängen per se Instrument.

Das fing schon bei der Carter Family an, denen knasterbärtige Hippies immer schon andichteten, sie würden "authentische" Musik aus den Bergen Virginias spielen, und es sei purer Zufall gewesen, dass sie damit auch Platten verkauft hätten. Es gibt allerdings Interviews mit z.B.Maybelle Carter, in denen sie ganz deutlich sagt, dass sie immer nur das gespielt hätten, was die Leute hören wollten, und A.P. Carter gerne auch mal einen Song geklaut hätte, den er anderswo gehört hatte.

Auf der anderen Seite gibt es auch aktuelle Death-Metal-Acts wie Herbert Grönemeyer, der vielleicht tatsächlich authentisch seine Gefühle über den Tod von Frau und Bruder zum Ausdruck bringen wollte, aber damit leben muss, dass genau dieses Moment der ultimative Traum eines jeden Kapitalisten ist. Denn er hat keine Gefühle ausgedrückt, er hat seine Gefühle verkauft und ist darüber unfassbar reich geworden (Aber: Nix gegen Herbert). Also: Besser als Leute glauben zu machen, da passiere "athentisches", ist, tatsächlich etwas "authentisches" zu haben und das verkaufen zu können. Gleiches Schublade: Rockstar bringt sich um.

Ich denke, Authentizität kann es nicht geben. Das würde heissen, dass es eine 1 zu 1 Übersetzung von, ja von was eigentlich? persönlichem Erleben? Nehmen wir das mal - in Musik geben muss, und das dürfte noch nichtmal der Bluessänger 1910 in Mississippi geschafft haben, denn auch der wollte, dass man seine Lieder hören konnte. Und machte deshalb auch keine 12-Ton-Musik, sondern Blues, bediente sich also bestehender Traditionen, denn die hatten eben auch seine Art, sich auszudrücken beeinflusst. Wenn ich also Authentizität als einflussfreie Musik sehe, dann kann es das nicht geben.

Retten könnte man das Prinzip höchstens aus der Sicht des Konsumenten: Authentizität ist das, was passiert, wenn ich mich von Kunst angesprochen fühle. Das schafft bei manchen Daniel Küblböck über Klischees, oder bei anderen, wenn man sich ganz weit aus dem Fenster lehnt, wie z.B. die späten Talk Talk. Das wäre also quasi das Prinzip der Übertragung: Ich unterstelle dem Künstler Authentizität, weil ICH mich berührt fühle.

Aus psychoanalytischer Sicht würde man vielleicht zu bedenken geben, das Authentizität als Vermutung einer tieferen Bedeutungseben sowieso nicht existieren kann, da grundsätzlich alles, was existiert, "gesagt" wird; es wird immer mehr oder weniger geäussert als das, was man eigentlich äussern will, und in dieser Differenz liegt eben - der Rest. Den zu interpretieren ist über mediale Vermittlung natürlich erst recht nicht möglich, weswegen ich jetzt auch mal aufhöre.
Schön'amdnoch,

Maddin

NP: The Cardigans - Long gone before daylight


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