Konzertkritik: Orange Blossom Special in Beverungen


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Beitrag von The stooge vom Mai 20. 2002 um 19:29:33:

Gehört hatte ich schon von dem Glitterhouse Festival, nämlich dass es a) legendär sei, b) musikalisch ungefähr meiner Kragenweite entspreche und c) die Chance, eine Karte zu ergattern ungefähr so groß sei wie ein Sechser im Lotto. Also abgeschrieben. Aber das Glück winkte mir: Andreas Falke inserierte im AS eine überzählige Karte und ich schrie als erster "HIER" - Pfingsten war gerettet und mehr als das.

Austragungsort ist Beverungen, eine schnucklige altdeutsche Kleinstadt mit aufwändig renovierten Fachwerkhäusern, Fußgängerzone, Frendenverkehrsverein und lieblicher Wesertalumgebung - was eine altdeutsche Kleinstadt halt so braucht. Ich stieg übrigens in Niedersachsen aus dem Zug, hatte in Hessen mein Nachtlager und fuhr dann täglich per Rad nach Nordrheinwestfalen zum Festival - so viel zur genaueren Lage.

Das Ganze fand im Garten des Glitterhouse statt und wurde von etwa 1500 Leuten besucht, die Organisation, für die unser lieber Martin Abend miterantwortlich war, war vorbildlich - noch mal vielen Dank Martin, an Dich und Deine Kollegen. Die Zeitdisziplin wurde strikt eingehalten, und weil das Auge ja bekanntlich mithört, waren die hübschesten Mädels von Beverungen zum Kartenabreißen, Parkplatzanweisen etc. eingeteilt worden. Logistik der Ver- und Entsorgung klappte ebenfalls, die Schlangen vor Lokus und Bierstand hielten sich in Grenzen und waren ohne übergroße körperliche Pein zu überstehen. Schließlich war die Stimmung ausgespochen angenehm, es gab keine besoffen rumbrüllenden Hools, keine Kiff- oder Alkleichen und auch keine Hunde (!!!). Dass der Altersdurchschnitt eher in Richtung graue Panther tendierte, braucht nicht weiter erwähnt zu werden, aber etliche Teenies mit "Pelz ist Mord" u.ä. Buttons sorgten für die untere Verbreiterung der Alterpyramide. Das allerunterste Ende wurde von den zahlreich mitgebrachten Kindern repräsentiert.

Nun zum Programm (Werturteile wie immer nach rein persönlichen Vorlieben):
Freitagabend spielte zum Auftakt Smokestack Lightning, fränkische Country Rocker, flotte, erfrischende Cover von Altmeister Johnny Cash bis His Bobness. Gelungener Einstand.
Samstag: Der Nachmitag stand eher im Zeichen der jungen Liedermacher: Getragene nachdenkliche Melodeien über schwierige Probleme zwischen Ballade und Midtempo und zwischen ganz nett und ‘n büschen langweilig. Gemma Hayes, eine süße kleine Irin zeigte, dass sie wie Heather Nova ihren ätherischen Glockensopran in die Obertöne umkippen lassen konnte und mindestens vier Gitarren besaß. Ausnahme war One Bar Town, eine fröhliche deutsch- dänische Säufer-Countrytruppe mit eigenen Songs und witziger Conference.
Als schließlich die Kids mit ihren gemachten Schulaufgaben zu lyrisch-musikalisch bewältigten Adoleszenzkonfikten fertig waren, kamen the Yayhoos auf die Bühne und nach vier Takten wusste ich, was mir der Arzt verschrieben hatte: Rock'n Roll, krachig, ordinär, gut gelaunt und schnell irgendwie zwischen Georgia Satellites, Free und Status Quo auf den Punkt gespielt. Der Rest des Publikums sah es genauso und die Post ging richtig ab. Zwischendrin fragte Dan Baird "is it raining?", alles brüllte "NO!!!" obwohl es ziemlich zu schütten angefangen hatte. Danach war für mich der gelungene erste Abend zu Ende, ich nutzte eine Regenpause aus, um mich aufs Rad zu schwingen.
Der nächste Nachmittag fing ähnlich an wie der erste, es gab nette Sounds mit tiefsinnigen Texten, man konnte entspannt zuhören und sein Bier dazu trinken, sich unterhalten etc. Für synchronische Bewegung im Publikum sorgte dann wieder Jon Dee Graham, ein in Ehren ergrauter Rocker aus Austin mit Krachgitarre und genialem zweiten Gitarrero namens Mike Hardwick. Er erinnerte mich an Omar Kent Dykes, aber ließ noch mehr schräge Töne in seine Gold-Strat fließen. Außerdem ein routiniertes Entertainertalent. Von ihm stammte übrigens das Motto des diesjährigen OBS: It's a Big Sweet Life.
Anschließend die großen Schweiger des Texas Rock, Friends of Dean Martinez, die ihre Soundexperimente zelebrierten und u.a. Summertime zerdehnten und zerplückten. Am Ende leisteten Graham und Hardwick ihnen Gesellschaft: zuerst war Neil Youngs Harvest Song an der Reihe, dann wurde Hurricane instrumental noch mehr zerklopft, als man es vom Meister schon gewohnt ist.
Schließlich Cary Hudson, ein junger Gitarrist aus Mississippi mit Oxblood Paula und geslideten oder gegriffenen Riffs in Southern Stilrichtung (ohne dass man ein besonderes Vorbild heraushörte). In Triobesetzung, straight ahead und mit Spielfreude ohne Ende. Er war der einzige, der seine Zeit heftig überzog - aber mit Zustimmung der Veranstalter, denn das Publikum freute sich.

Kurz und gut: eine der gelungensten Veranstaltungen, die mir in den letzten zehn, wenn nicht zwanzig Jahren zu Ohren gekommen ist - einfach alles stimmte. Und nächstes Jahr Pfingsten weiß ich, was ich mache.
Ich hoffe, dass es Euch den Mund auch ein wenig wässerig gemacht hat, falls eine der genannten Bands bei Euch in der Nähe spielen sollte. Und Glitterhouse und seine Musiker verdienen unbedingt Unterstützung, denn sie machen die Musik, die man nicht im Radio hört.

Schöne Pfingsten noch, Mathias

NP: The Yayhoos, Monkey with a Gun


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