(Amps) Verstärker statt Computer


[ verfasste Antworten ] [ Aussensaiter-Forum ]

Beitrag von U. Giebeler vom Januar 29. 2001 um 12:41:28:

Verstärker statt Computer.

Hallo,
ich stand vor der Entscheidung: Soll ich mir einen neuen Computer kaufen - oder nicht? Nein, ich brauch keinen, der alte reicht noch aus. Anstatt den neuen zusammenzubauen und einzurichten, hab ich mir als Alternative überlegt, mal wieder wie „in alten Zeiten“ zu basteln und das Computergeld dafür zu investieren. Bei ebay hab ich dann versucht, jede Menge Verstärkerschrott zu ersteigern, um daran herumzuwerkeln. Als erstes kam ein Echolette M40, sah sehr gut aus, Sicherung in Ordnung, Gehäusedeckel war etwas nachlackiert, altes Netzkabel lag bei, Box angeschlossen, Gerät eingeschaltet, es funktioniert tadellos. Scheisse, ich wollte doch basteln. Dann kam aber als nächstes ein aus dem Sperrmüll geborgener Echolette B40N, der beige Kunstlederbezug sah eher nach Kohlenkeller aus, das Gerät war von innen total versifft, sogar ein Vogel hatte neben den Elko gekackt, nach Ausbau des Chassis kamen an der Unterseite jede Menge Spinnweben zu Ansicht, in die sich viele Samenkörner verfangen hatten, Röhren waren vollständig, eine EL34 hatte Luft gezogen. Da hat sich das Bastlerherz gefreut, es gab viel zu tun.
Der Aufbau des Verstärkers ist vorbildlich: durchgehen Keramiksockel in Chassismontage, rechtwinkelige Kabelbäume mit Fäden verdrillt, alles sehr übersichtlich und unverbastelt, Bauteile auf gedruckter Schaltung auf der Lötseite unter dem Chassis angebracht, dadurch sind alle Bauteile direkt zugänglich, wenn man den Verstärker umdreht. Die Ausführung ist relativ simpel, 2 Eingänge getrennt regelbar, Vorstufen mit Doppeltrioden, Kerbfilterklangreglung und El 34 Endstufe. Die Röhren sind auf der Rückseite des Verstärkers nach aussen Montiert, liegen also waagerecht und werden durch das Holzgehäuse mit abgedeckt. Das Chassis ist relativ schmal.
Nach Staubsaugereinsatz und Reinigungstüchern, Kontrolle der Sicherung: fachmännisch geflickt, d.h. durch 2 Streifen Lötzinn ersetzt, also auf mindestens 30A abgesichert. Also erstmal alle Röhren raus, testen, ob der Netztrafo zu qualmen beginnt -, der Schalter funktionierte, sogar die Kontrollampe leuchtet, der Trafo ist ruhig und bleibt kalt, Wechselspannungen sind in Ordnung, dann die GZ 34 original Telefunken eingesteckt, sie erzeugte ein lautes Rappelgeräusch, war wohl im Laufe der Jahrzehnte mechanisch instabil geworden. Nach deren Austausch gegen eine neue war es ruhig, Anoden- und negative Spannung waren vorhanden, die Elkos blieben auch nach 5 Minuten Betreib noch kalt, einen Kurzschluß gab es demnach nicht. Nach Einsetzen neuer Endröhren und der alten Vorröhren (original Telefunken), war im Lautsprecher ein Grundrauschen zu hören, Schalter am Verstärker auf 5 Ohm. Knackende Potis, die bei Bewegung neben einem Grundrauschen noch ein Blubbern verursachten - Koppelkondensatoren der Vorstufe defekt.
Ich habe gleich alle Konensatoren ersetzt und den Elko der Vorstufenspannung und an der Kathode der Vorstufe. Die Jahreszahl auf den Elkos zeigt 1963 - (in dem Jahr hatte ich die erste Klasse am Gymnasium absolviert, auf der Kirmes nebenan wurde „She loves You“ von den Beatles gespielt .... ja .. ja.. die Zeit). Die Potis sind in Ordnung, das Knacken und Blubbern war bis auf ein recht lautes Rauschen verschwunden. Das Rauschen wurde durch ein altes, vergammeltes offenes Trimmpoti erzeugt, das an der Rückseite des Chassis als Masterregler fungierte. Damals hat man sich den Sound wohl einmal mit dem Schraubenzieher eingestellt und dann wars das. Ich fand, so etwas hat der Verstärker nicht verdient und habe das Bauteil durch ein gekapseltes Poti ersetzt, die Achse nicht gekürzt, so dass man zwar etwas umständlich, aber ohne Schraubenzieher an der Rückseite das Mastervolumen einstellen kann. Als nächstes hab ich dann alle Kondensatoren, die mit der Erzeugung der negativen Spannung zu tun hatten und die kleine Diode ausgetauscht, die Spannung ist durch Festwiderstände fest eingestellt, man hat wohl gedacht: „bei einem Gitarrenverstärker spielen Verzerrungen keine grosse Rolle“, andere Verstärker wie der M40 oder Eminent von Dynacord hatten ja schon Trimmpotis für die negative Spannung, diese Verstärker waren u.a. für Sprachwiedergabe mehr auf einen niedrigen Klirrfaktor getrimmt. Heute werden teilweise die Phasenumkehrstufen in Gitarrenverstärkern leicht unsymmetrisch geschaltet, damit sich selektierte Endröhren so anhören sollen als wären sie unselektiert und mehr Verzerrungen produzieren.
Schliesslich habe ich noch das vergammelte Gehäuse mit Kunststoffreiniger behandelt, unter der Kohlenschicht wurde es plötzlich wieder kack-beige, es kamen einige Klebestellen zum Vorschein, jemand hatte mal vergessen, seine brennende Zigarette unter dem Verstärker wegzunehmen, die weissen Knöpfe und der weisse stand-by-Schalter trugen den Handschweiss und Siff der letzten 35 Jahre, nach der Reinigung sahen sie wieder wie neu aus, die Frontplatte hatte keine Kratzer, sondern war nur von einer undefinierbaren Staub- und Dreck-Schmierschicht überzogen, ich hab sie schön poliert, alles wieder zusammengebaut. Das Teil funktioniert wunderbar und sieht nicht aus, als wäre es ca. 37 jahre alt. Ich werde noch die vorderen Ladeelkos austauschen, nach ca. 37 Jahren traue ich diesen Bauteilen auch nicht mehr so ganz, im Original mit 450/550 Volt Prüfspannung gibt es die vielleicht noch zu Horrorpreisen irgendwo als schraubbaren Doppelelko, ich muss also alternativ jeweils 2 Stück mit 380Volt hintereinanderschalten und je mit einem Widerstand überbrücken, dann addieren sich die Spannungen der Elkos, die Kapazitäten halbieren sich, dadurch hat diese Konstruktion dann über 700 Volt Prüfspannung, die Elkos sind nach dem Ausschalten durch die Widerstände in ca. 5 sekunden entladen, wodurch es dann bei Reparaturen nicht zu unerwünschten Stromschlägen kommt.
Es hat mir unheimlich Freude bereitet, diesen Verstärker teilweise neu aufzubauen, zuletzt habe ich ihn an die beiden Lautsprecher eines neuen Fender-Twin angeschlossen. Mich überzeugt der Klang total (ohne mich jetzt in schwülstige Beschreibungen a la G&B zu ergehen) und der sehr hohe Geräuschspannungsabstand, der auf die saubere Konstruktion des Echolette zurückzuführen ist. Der Übergang von clean bis verzerrt ist fast linear. Ich hab mir noch andere schöne und teilweise Schrottgeräte gekauft (meistens wenn da steht: habe kein Netzkabel zur Hand, kann die Funktion nicht prüfen, heisst das - Verstärker kaputt). Bei mir sind jetzt noch mehrere Dynacord Eminent (ich liebe diese magischen Augen) z.t. verbastelt und im Stil der Ende 60er mit Gleichrichterdioden „modernisiert“, Bandhallgeräte und M40. Ich werde diese Teile wieder in den Urzustand einschliesslich neu lackierter Gehäuse versetzten, um mich daran zu erfreuen. Diese Beschäftigung macht mir persönlich mehr Spass als Kauf und Einrichtung eines neuen Computers. Ich hätte z.B. nie gedacht, in meinem Leben noch einmal eine 5 polige DIN-Buchse in irgendeinen Verstärker zu bauen, es werden jetzt ganz schön viele sein.
Die Lötzinnsicherung habe ich immer noch nicht ersetzt, das wird das Nächste sein.
Und welchen Sinn macht die ganze Arbeit? - ich fühle mich unheimlich wohl dabei, das ist die Hauptsache.

Viele Grüsse

U. Giebeler


verfasste Antworten:



Dieser Beitrag ist älter als 3 Monate und kann nicht mehr beantwortet werden.