Re: (Technik) MUSS einfach weiterhin nerven .... ( COUNTRY )


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Beitrag von Mo Joe vom Februar 24. 2006 um 15:44:44:

Als Antwort zu: Re: (Technik) MUSS einfach weiterhin nerven .... ( COUNTRY ) geschrieben von Waufel am Februar 23. 2006 um 15:31:06:

Hi Waufel!

Mag sein, daß ich "Einfluß" und "Wurzel" ein bischen stark vermengt habe. Andererseits kann ich eine so klare Unterscheidung, wie du sie zwischen den Begriffen ziehst, auch wieder nicht sehen.
Die Analogie mit der Pflanze hinkt doch letztlich gewaltig, weil sie impliziert, daß stets klar erkennbar ist, was der „Hauptstrang“ ist und was der, ich sag mal, „seitliche Einfluߓ. Im Falle von gewachsenen Musikstilen ist das aber oft eine ziemliche willkürliche Definition.
Gut, was den Jazz in bezug zu Country betrifft, gebe ich dir recht. Das war sicherlich eher ein "Einfluß" als eine "Wurzel". Andererseits wage ich mal zu behaupten, daß das Instrumentalspiel der hawaiianischen Urbevölkerung vor 200 Jahren unsere Ohren mehr an Countrymusik erinnern würde, als die Kirchenchoräle der puritanischen Einwanderer im 16. Jhdt. Aber auch das wäre natürlich nur eine rein subjektive Hörweise, eine Diskussion darüber erübrigt sich also. Was ist Hauptstrang, Wurzel, Ursprung oder wie immer du es nennen willst, und was ist „Einfluߓ? Man kann es nicht immer klar sagen. Ich denke, wir sollten da nicht so sehr in Ausschließlichkeiten denken. Das haarkleine Suchen nach Kategorien läuft doch nur auf ein weltfremdes Schubladen-Gequetsche hinaus, das am Phänomen "Countrymusik" vorbeifüht.

Wenn man schon Analogien aus der Natur nimmt, würde ich den Vergleich mit einem Fluß vorziehen. Seine Seitenarme, die wiederum Seitenarme haben usw., kommen aus den verschiedensten, weit voneinander entfernt liegenden Richtungen und fließen an unterschiedlichen Stellen (zu unterschiedlichen Zeitpunkten) zusammen, bis ihr Wasser in einem breiten Strom ins Meer fließt. Wenn man sich die Landkarten ansieht, ohne die Namen der Flüsse zu lesen, ist es oft nur schwer möglich, den „Haupstrom“ bis zu seiner Quelle zurückzuverfolgen. Denn nach welchen Regeln wird irgendein winziges Rinnsal die „Quelle des Hauptstromes“ genannt, während die tausend anderen Quellen (=Wurzeln) nur „Nebenarme“ (nach deiner Anaologie also „Einflüsse“ sind)? Glaub mir, es hat weder etwas mit der Länge eines Arms, noch mit der Menge des Wassers, noch mit der Stelle des Zusammenfließens zu tun. Daß z.B. der weitaus längere Missoury lediglich ein Nebenarm des Mississippis ist, beruht auf reinen territorialpolitischen Einteilungen. Und es hat schlicht mit der Reihenfolge ihrer Entdeckung zu tun. Jedenfalls ist es eine künstliche Definition und liegt NICHT in der Natur der Sache selbst.

Genauso ist auch der historische Zeitpunkt, an dem zwei Musikstile zusammenfließen eher nebensächlich für die Frage, welches denn der Hauptstrom sei. Vergiß nicht, wenn du etwa das Beispiel mit dem späteren schwarzen Einfluß anführst, daß auch der Blues damals nicht vom Himmel gefallen ist, sondern seinerseits lange zurückreichende Wurzeln hatte.

Wahr ist allerdings, daß Countrymusik heute eine identitätsstiftende Funktion vor allem für angelsächsische weiße Amerikaner hat. Und daß Countrymusiker nicht europäischer oder auch nur südeuropäischer Abstammung die Ausnahme sind. Insofern ist Countrymusik tatsächlich "weiß". Diese Gruppe hat also am ehesten die Definitionshoheit für die Countrymusik und erklärt auch die Musikgeschichte durch die Brille ihrer eigenen kulturellen Tradition. Ein Hawaiianer würde vielleicht sagen, daß die Musik seiner Kultur heute überall in Nashville gespielt würde, verändert zwar durch ein paar europäische "Einflüsse", aber ansonsten: hawaiianisch. Südosteuropäische Bergbewohner dagegen erkennen im Gesang etwa von Hank Williams eindeutig ihre vibratolose, "nasale" und zuweilen jodelnde Gesangstradition wieder. Alles in allem also eine recht subjektive Angelegenheit.

Mir scheint bei alledem, daß die nichteuropäischen Wurzeln (ja, ich sage bewußt „Wurzeln“) in der Countrymusik bei weitem unterbewertet werden, und zwar, um einer (z.T. latent rassistischen) Wunschvorstellung ihres Publikums zu genügen. Leider. Aber ich laß mich gern vom Gegenteil überzeugen.

Gruß, Mo




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